Leseprobe

26 27 Rørbye wiederfinden. Eine genau berechnete, perspektivische Konstruktion galt derweil als unverzichtbare Voraussetzung. Das war besonders bei dem Dänen Christoffer Wilhelm Eckersberg erkennbar, dessen Malerei zum Teil naturwissenschaftliche Ansätze wie die Erkenntnisse des dänischen Physikers Hans Christian Ørsted zur Wirkung von Lichtbre- chung und Schattenwirkung zugrunde lagen. Gerade hieraus bildete sich aber auch in der Freilichtskizze, wie sie vor 1800 in Frankreich entwickelt worden war, eine nahezu gegen- läufige Tendenz zur akkurat-linearen Malweise der Akademien heraus, in der die Ölskizze spontane Pinselstriche verlangte, wie sie etwa bei der Darstellung von Regenschauern ange- bracht schienen. Neben der Schule von Barbizon wurde dieser Prozess, so die bisherige Lesart, auchmaßgeblich von deutschen Romantikernwie Carl Blechen vorangetrieben. Die deutsche Romantik hatte jedoch – so war zumindest die Vermutung, die unserer Arbeit innerhalb der THEORIA-Forschungsgruppe zur Malerei Nordeuropas in ihren transkultu- rellen Bezügen und Rezeptionen vorausging – einen unverkennbar nördlichen Einschlag, der bislang außerhalb der skandinavischen Kunstgeschichte nur marginal wahrgenommen wurde. Sogar die »romantischsten«Maler aus Norddeutschland wie Friedrich, Philipp Otto Runge oder Georg Friedrich Kersting studierten alle um 1800 nicht etwa in München oder Dresden, sondern an der Kopenhagener Akademie. Sie war die damals vielleicht fortschritt- lichste und innovativste in ganz Europa. Dies fiel nun alles in eine Zeit, als Dänemark sich nach demVerlust Norwegens und nach der desaströsen Bombardierung durch die Britische Flotte während der Napoleonischen Kriege neu erfinden musste. Das tat es vor allem im Bild. In Dänemark wurden Künstler wie Peter Christian Skovgaard und Johan Thomas Lund- bye nach 1830 gar vom Kunstkritiker Nils Lauritz Høyen dazu gedrängt, nicht mehr nach Italien zu reisen, sondern fortan nur noch einheimische Motive zu malen. Hier entspann sich nun der in der dänischen Kunstgeschichte bekannte Komplex von »Nationalen« und »Europäischen« Malern – je nachdem, welche Motive sie zeigten, ob sie noch reisten oder sich nur der nationalen Sache verschrieben. Dass diese klare Dichotomie sich in diesem klaren Entweder-oder nicht halten ließe, war schon zu ihrer Entstehung klar. Dennoch blieb sie über lange Zeit eine feste Größe in der Rezeptionsgeschichte des dänischen Goldenen Zeitalters der Malerei. Für uns als zum 19. Jahrhundert forschende Kunsthistorikerinnen und -historiker stellte sich vor diesem Hintergrund schlicht die Frage, ob es also eine bis- lang übersehene oder zumindest in ihrer Verzweigung und netzwerkartigen Komplexität bislang unterschätzte nordische Romantik gab.

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