Leseprobe

46 rate ist weitaus geringer als etwa in Neapel oder auch in London neun Jahre später, wo 80 000 Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 500 000 an der Pest starben. Vermutlich wurde die Mortalität in Rom zu niedrig angesetzt; dennoch kam die Ewige Stadt, bei aller Dramatik der absoluten Zahlen, einigermaßen glimpflich davon. Die Maßnahmen, die sofort, mit großer Rigorosität und daher offenbar erfolgreich in die Wege geleitet wurden, unterschieden sich dabei kaum von denjenigen, die bereits seit der großen Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts sukzessive in dem von Pestphasen immer wieder heimgesuchten Italien zu einem regelrechten Maßnah- menkatalog entwickelt und verfeinert worden waren: Lazarette wurden geschaffen, in die alle Infizierten – notfalls mit Gewalt – eingewiesen wurden. Stadttore wurden verriegelt. Aus Län- dern, die von der Seuche befallen waren, wurde niemand in die Stadt gelassen. Die Ärzte trugen Brille, Handschuhe und Maske. Häuser und ganze Stadtviertel wurden unter Quarantäne gestellt. Alle Materialien, die in Kontakt mit Infizierten gekommen waren, wurden desinfiziert (mit Essig und Räucherungen). Damit seien nur wenige der vielfältigen Vorkehrungen genannt, die Einsatz fanden, um die Epidemie einzudämmen.4 Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass Papst Alexander VII. selbst als machtvoll handelnder Akteur auftrat, was durchaus als ungewöhnlich zu bezeichnen ist. Viele seiner Vorgänger waren auf ihre Landsitze geflüchtet oder hatten sich in den Schutz der inners- ten Gemächer des apostolischen Palastes zurückgezogen.5 Selten wurde dem Vorbild des Papstes Gregor I. aus dem Jahr 590 gefolgt, dessen Handeln in Pestzeiten, zumindest in symbolischer Hinsicht, nahezu paradigmatisch wurde. Dabei spielte die noch im März 2020 im Zusammen- hang mit der Covid-19-Pandemie beim außerordentlichen Segen »Urbi et Orbi« von Papst Fran- ziskus präsentierte Tafel Salus Populi Romani (Abb. 31 –32) eine besondere Rolle.6 Die laut Legende vom Evangelisten Lukas geschaffene Marienikone soll bereits im Jahr 590 von dem soeben erst zum Papst Gregor I. ernannten Gregorius (590–604) während der Pestepidemie in Rom in litaniae maiores , der großen Bittprozession mit Allerheiligenlitanei am Markustag (25. April), mitgeführt worden sein.7 Kurz zuvor war Gregors Vorgänger Papst Pelagius II. an der Pest gestorben. Für Gregor waren die von Pest und Krieg verursachten Leiden ein Aufruf zur Buße. Sein Zeitgenosse Gregor von Tours (538–ca. 594) ließ ihn sprechen: »Die Strafen Gottes, geliebteste Brüder, welche wir schon zu fürchten hatten, bevor sie über uns kamen, müssen uns umso mehr in Sorge versetzen, da sie gegenwärtig und wir sie an uns selbst erfahren. Das Tor zur Bekehrung soll uns der Schmerz öffnen […]. Siehe, das ganze Volk wird von dem Schwerte des himmlischen Zorns getroffen und einer nach dem andern von einem plötzlichen Tode dahinge- rafft […].«8 Die von Gregor geführte Prozession zog von den sieben römischen Kirchen aus sternförmig zur Kirche Santa Maria Maggiore und von dort hinter der Marienikone her gemein- sam nach Sankt Peter. Am Hadriansmausoleum, dem heutigen Castel Sant’Angelo, soll am Himmel über dem Monument der Erzengel Michael erschienen sein, der, wie es Giovanni di Paolo im 15. Jahrhundert darstellte (Abb. 33), sein Schwert – symbolischer Ausdruck des göttli- chen Zorns – wieder in die Scheide steckte: »Der wischte sein blutig Schwert und stieß es darnach in die Scheide. Hierbei erkannte Gregorius, daß das Sterben ein Ende hätte; und also war es auch. Die Burg aber ward hinfort die Engelsburg genannt.«9 Freilich haben auch andere Päpste ihren Beitrag zur Krisenbewältigung in Pestzeiten ernst genommen: In der Pestepidemie von 1472 soll sich Papst Sixtus IV. zur Kirche Santa Maria del Popolo begeben haben, um Gott zu bitten, die Luft zu reinigen und den Kranken die Gesundheit zu schenken.10 Während der Pest 1485 wurde auf Veranlassung von Papst Innozenz VIII. das Marienbild aus Sant’Agostino in einer Prozession durch alle Rioni und schließlich zum Petersdom Abb. 31 Byzantinisch, Marienikone Salus Populi Romani , ohne Datierung (zw. 5. und 13. Jahrhundert), Cappella Paolina, Santa Maria Maggiore, Rom Abb. 32  Altar der Marienikone Salus Populi Romani , 1613, Cappella Paolina, Santa Maria Maggiore, Rom

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