Leseprobe
7 Viel später, als Lehrer in Weißensee, unterrichtete ich auch die Grafik für alle, die sich interessierten. Ich gab eine Radierung als Kompositionsaufgabe. Das Schwarz-Weiß-Grau sollte auf der Platte zu einem bildhaften Ergebnis organisiert werden. Also nichts Handschriftliches, keine forcierten Wirkungen. Ich wurde einmal gefragt, welche Radierer ich am höchsten schätze. Das sind immer Maler, nicht diese Nur-Grafiker. Ich nannte, wie schon erwähnt, Rembrandt, dann Hercules Seghers mit seinen Weltlandschaften – eben nicht nur Haus- und Baum-Motive – und den Belgier James Ensor. Ich betrachtete natürlich auch die wenigen Radierungen von Paul Cézanne mit großem Interesse, dann George Rouault, Alberto Giacometti, Ben Nicholson oder Hans Hartung in ihrer großen Unterschiedlichkeit. Entgegen den anderen grafischen Techniken, wo jetzt vielfach mein Kompositions streben dominiert, fällt auf, dass bei den Radierungen, zumal bei der Kaltnadel, und eigentlich nur noch dort, oftmals Figürliches zu sehen ist. Es ist das, was ich meine Erlebniskunst nenne. Aber es kommt auch aus meinem anhaltenden Interesse an der Figur, an Körperhaltungen, Bewegungen und Gesten, an den Leuten und deren Gesichtern, überhaupt an Situativem, ja Alltäglichem. Das alles habe ich in Skizzen und auch im Kopf festgehalten. Aber dann – in Gleichzeitigkeit, aus der Lust am Machen – die Platte zu Beginn beispielsweise mit zwei Strichen senkrecht, einem waagerecht, manchmal den Goldenen Schnitt bedenkend, anfangen und hernach irgendwie daran weiter arbeiten, indem ich auf diese Linien antworte. Keine Geometrie. Manchmal kommen dann affektiv Realfragmente hinzu, ein Vorgang ohne Ziel, der natürlich beendet werden muss. So würde ich viele dieser letzten Arbeiten beschreiben, im Gegensatz zu früheren, wo mehr das Erlebnis und dessen Schilderung im Vordergrund standen. Es ist eine Wirken aus Hirn, Hand, Werkzeug und der Materialeigenschaft sowie dem Komponieren an sich. Für mich gibt es eigentlich keinen Unterschied zwischen Gegenständlich und Abstrakt, und ich sehe mich keineswegs als Abstrakten.
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