Leseprobe

253 Plauen ist Großstadt drückt auch dem gesamten Stadtbilde ihren Stempel auf. Trotz der zahllosen großen und kleinen Etablisse- ments fehlen die rauchigen Schlote und das dunstige Milieu, die sonst Fabrikstädte so unvorteilhaft kenn- zeichnen. Dank der Fürsorge der Stadtvertretung ist der Bauplan von dem Grundsatz aus aufgestellt, Licht und Luft zu schaffen, und dem ist in den neuen Straßen- zügen allenthalben Rechnung getragen.« Aus diesem Klima resultierte schließlich eine hohe Lebensqualität, die noch wenig durch die Schattenseiten der Urbanisie- rung verdunkelt würde : »Das gesellige Leben in Plauen ist angenehm. Wird auch mit Hochdruck gearbeitet, so ist doch der Plauener nach vollbrachtem Tagewerk dem Vergnügen nicht abhold, ja es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß er die vielen ihm gebotenen Veranstaltungen, mögen es Vorträge, Theater- und Zir- kusvorstellungen oder Tanzunterhaltungen sein, mit Freuden und Nachdruck wahrnimmt. Eine hervorra- gende Eigenschaft zeichnet ihn aus und das ist sein stark ausgeprägter Wohltätigkeitssinn, der stets in die Erscheinung tritt, wenn irgendwo von Not und Kümmer- nis berichtet wird. Im allgemeinen erfreut sich die Be- völkerung eines behäbigen Wohlstandes [...].« Das Stadtbild reflektierte nach Schulzes Ansicht demnach die vorteilhafte Verschmelzung von kleinstädtischer Integration und großstädtischer Modernität. Wirtschaft In die nach 1900 einsetzende neue Konjunkturwelle fiel im April 1904 die Überschreitung der magischen Zahl von 100000 Einwohnern. Das agile Plauen war vor allem durch Zuzug, weniger durch Geburtenüberschuss zur Großstadt geworden. Die Wirtschaft der Großstadt Plauen wurde zu kei- nem Zeitpunkt von der Großindustrie dominiert, auch wenn sie in ihren Mauern eine wachsende Zahl großer Fabriken beherbergte. Plauen besaß auch nie den Cha- rakter einer klassischen »Arbeiterstadt«, allerdings Gerd Naumann überwogen in der Ost- und der Südvorstadt, an der Hainstraße und in großen Teilen von Haselbrunn die Fabrikarbeiter. Der besondere Charakter seiner Wirt- schaft sowie die in ihm wurzelnden Besonderheiten in der Sozialstruktur seiner Bevölkerung unterschieden Plauen deutlich von anderen industriellen Großstädten im Königreich. Das rasche Wachstum der Fertigungskapazitäten in der frühen Großstadtphase der Vogtlandmetropole – vor allem in der vorherrschenden Textilindustrie – mögen die folgenden Beispiele veranschaulichen. Ein Großteil der Stickerei- und Spitzenfirmen konzentrierte sich von jeher auf die Viertel, die sich links der Elster nach dem Rähnisberg hinaufziehen. Ein weiteres Quartier ent- stand nun um den Pauluskirchplatz herum. In der Blu- men- (heute Eugen-Fritsch-), der Leißner- und der An- ⑩ Blick in den Gardinen-­ Konfektionssaal der Gardinen- und Stickerei- Firma Albert Schwarz an der Wielandstraße, um 1920 Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens der Gardinen- u. Stickerei- Firma Albert Schwarz, Ravensburg b. Bodensee und Plauen i. Vogtland, Ravensburg-Plauen 1922, Repro Heino Strobel Beispielloser Wirtschaftsboom – dank Strom Der Stadtgemeinderat beschloss 1896 die Errichtung eines Elektrizitätswerks, dessen Entwicklung forciert wurde. Am 1. Januar 1905 übernahm das Elektrizi- tätswerk die Stromlieferungen an die Sächsische Straßenbahngesellschaft. Diese Lieferung, zusammen mit der weiter erheblich gewachsenen Stromab- gabe an das Drehstromnetz, erhöhte die gesamte Stromerzeugung der Kraft- station 1906 um 71 Prozent gegenüber derjenigen des Jahres 1904. Nachdem 1906 sehr brauchbare Metallfadenlampen in den Handel gebracht worden waren, erfuhr die elektrische Glühlampe 1907 immer weitere Ver- breitung für die Nutzbeleuchtung. Die Anzahl der angeschlossenen Lampen wuchs um 34 Prozent im Vergleich zu 1906. Zwischen 1905 und 1907 stieg die Anzahl der angeschlossenen Motoren um weitere 38 Prozent; der Elektromotor fand außer in der Stickereiindus­ trie und allen damit zusammenhängenden Betrieben auch in den verschie- densten anderen Industrien und kleingewerblichen Betrieben zunehmend Verwendung. Die Stromabgabe für Beleuchtungszwecke wuchs beständig und war 1907 um 24 Prozent höher als 1904. Für industrielle Zwecke nahm sie bis 1906 um 26 Prozent zu. Die Mehrabgabe des Elektrizitätswerks für Licht und Kraft zusammen mit der Stromlieferung an die Straßenbahn verdoppelte annähernd die gesamten nutzbar abgegebenen Kilowattstunden gegen- über 1904 (1 200 kW Normalleistung) auf 2210 kW Normalleistung 1907.

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