Leseprobe

415 Wirtschaftliche Strukturen Der VEB Plauener Spitze war innerhalb des Kombinats Deko als Leitbetrieb in der Erzeugnisgruppe Stickerei Spitze verantwortlich für 17 weitere Betriebe. Zum eige- nen VEB gehörten drei Werke : in Plauen (zeitweise mit 20 Produktionsstätten), Dresden und Leipzig. Mit dem 11. Juli 1990 fand – auch in diesem Fall außerhalb der Deko AG – die Umwandlung in die Plauener Spitze GmbH statt, die Werke in Dresden und Leipzig gingen eigenständig diesen Weg. Im zweiten Halbjahr 1990 reduzierten sich die Mitarbeiter von rund 3 000 auf 1 942, Ende 1992 waren es noch 360, 1993 weniger als 20. Das Stammkapital hatte 1991 die Pfersee Kolbermoor AG Augsburg erworben, man- che Produktionsstätte konnte reprivatisiert, andere durch MBO ausgliedert werden. Verschiedene Unternehmen in branchenüblicher mittelständischer Größe entstanden. 1992 betrug der Umsatz nur noch 60 Prozent von dem, was 1991 erzielt worden war, zum 1. August 1993 wurde die eigene produktive Geschäftstätigkeit eingestellt. Auch wenn der Großbetrieb nicht mehr existiert, so bleibt die Spitze doch Imageträger der Stadt. Bereits im April 1990 hatte sich der Branchenverband Plauener Spitze und Stickereien e.V. gegründet und die Marke Plauener Spitze® 1994 als geografische Herkunftsan- gabe, eine Mischung aus Qualitätssiegel und Dachmarke für alle regional erzeugten Stickereierzeugnisse, welt- weit schützen lassen. Mitglieder und teilweise zugleich Lizenznehmer sind mehrere Stickereiunternehmen in der Stadt Plauen und im Vogtland, Forschungs- und Bil- dungseinrichtungen sowie private Personen. 2013 existierten 35 Familienbetriebe mit rund 1 000 Beschäftigten, und immer wieder wurde und wird in neueste Stickereitechnik investiert, spielt der Zu- kunftsmarkt mit technischen Stickereien und Stickver- fahren auch zur Herstellung von Spezialtextilien eine Rolle – Raumtextilien wie Gardinen und Tischwäsche, Brautkleider und Accessoires für die Damenober- und -unterbekleidung bleiben Hauptprodukte der Branche. Statt eines Strukturbruchs darf man in diesem Bereich von einem Strukturwandel sprechen : Kleine, aber gut funktionierende Gewerbebetriebe entstanden – oder, wie es auf der Homepage der W. Reuter & Sohn Spitzen und Stickereien GmbH, einer Reprivatisierungs-Erfolgs- geschichte, heißt : »In den letzten drei Jahrzehnten nah- men engagierte Unternehmer, wie unsere Familie, das Schicksal der Stickereibranche im Vogtland wieder in ihre Hände.« Das Spitzenfest wird jährlich gefeiert, eine Spit- zenprinzessin seit 1996 gewählt, das Spitzenmuseum, die Schaustickerei Plauener Spitze im Obstgartenweg und der Verein Vogtländische Textilgeschichte Plauen e.V. vermitteln Spitzen-Geschichte. Es gab bis 2016 den Verein Deutsches Innovationszentrum für Sticke- rei e.V., den Showroom Lochkarte 36 und sogar einen internationalen Designpreis : plauen-vogtland stick- stich. Das Informations- und Designzentrum für Spit- zen-, Stickerei- und Textilindustrie (IDZ) bewahrt die 250 000 Exponate umfassende historische Muster- sammlung. Die Elsteraue als Industriestandort ist auch seit 1990 nicht wegzudenken. Im Bereich Hammerstraße steht nicht nur das Heizkraftwerk und damit das mit 171,7 Metern höchste Bauwerk Plauens (Abb. 4, S. 399), sondern auch zahlreiche weitere Unternehmen nutzen dort Vorhande- nes, errichteten Neues und möchten weiter ausbauen. Die Wurzeln der Plauen Stahl Technologie GmbH (PST) lassen sich im VEB Metalleichtbaukombinat (MLK), Werk Plauen finden. 1990 war daraus die Stahlbau Plauen GmbH hervorgegangen, die in der Lentjes AG zunächst einen Investor fand, ab 2001 in der mg capital GmbH und erst seit 2003 durch die Neugründung als PST vollständig auf Erfolgskurs ist : anerkannter Spezialist für Brückenbau, Kraftwerksbau und Stahlkonstruktionen. Der Plauener Apparate-Spezialist Tubetech besteht seit 2001 im Bereich der Hammerstraße, beschäftigt 65 Mitarbeiter und investiert weiter in den Standort. Die Meiser Vogtland OHG befand sich zunächst auch im MLK-Gelände, wechselte dann aber wegen ihres Platzbedarfs ins Oelsnitzer Industriegebiet Johannis- berg und entwickelte sich dort bis 2021 zum größten vogtländischen Industrie-Arbeitgeber. Zudem siedelten sich am Leuchtsmühlenweg, im Gewerbegebiet Zellwolle, neue Unternehmen an. Der Ausgangspunkt für die Richard Köstner AG war der 1997 begründete Plauener Stahlhandel : H&S Stahlpartner ⑥ Drei Kleider im Spitzenmuseum Plauen, 2021 Uwe Fischer Vitrine im Hintergrund : Kleid aus Plauener Tüllspitze, um 1910 Vitrine im Vordergrund : Rock und Bolero aus Plauener Ätzspitz (Luftspitze), um 1900 Kleid aus Plauener Spitze, Design : Irene Luft, München, getragen von Franziska Knuppe auf dem Wiener Opernball 2013 Zusammenarbeit mit der Treuhandanstalt Rainer Maria Kett im Gespräch mit dem Geschäftsführer eines Stickerei­ unternehmens über dessen Erfahrungen : »[...] Unsere PGH und später der VEB entstand aus 60 Kleinstunterneh- men mit 100 Maschinen und 300 Beschäftigten. [...] Wir wollten das Unternehmen wieder entflechten und perspektivisch in zwei Betrieben verdichten. [...] Die Zusammenarbeit mit der Treuhandanstalt gestaltete sich extrem schwierig: Ständig wechselten die Ansprechpartner mit Ent- scheidungskompetenz, man verstand weder die Struktur der Branche noch das Bilanzrecht, es sollte um jeden Preis an einen westdeutschen Investor verkauft werden – auf keinen Fall an Mitarbeiter. [...] Erst als die Privatisierung durch diese Sturheit fast zum Erliegen kam, änderte man die Strategie. [...] Die Treuhand wollte unsere Lösung nicht, nach zehn Verhandlungen waren wir keinen Schritt weiter und unsere Unter- lagen landeten einfach im Müll, wo sie zum Glück jemand sicherstellte und uns zurückgab. Diese Haltung gefährdete auch die Existenz unserer Firma, weil uns die Banken wegen der Unsicherheiten kein Firmenkonto genehmigen wollten, obwohl wir gut produzierten und exportierten. [...] Nach drei weiteren Jahren endlich Bewegung: Der VEB wurde in einen VEB i. L. umgewandelt, dann in eine PGH, danach in eine PGH i. L. und diese dann in die vorbereitete GmbH übertragen. Und obwohl die Umwandlungen nur juristisch und nicht gegenständlich erfolgten, denn der Gegenstand blieb ja immer gleich, wurde jedes Mal die Grunder- werbssteuer fällig. Wir zahlten also dreimal Grunderwerbssteuer, um hinterher dieselben Liegenschaften zu haben wie vorher. Dazu waren auch noch frühere Anteilseigner oder deren Erben auszuzahlen [...]. Insgesamt dauerte die Abwicklung des ganzen Vorgangs mehr als vier Jahre. Wäre nicht so viel Zusammenhalt im Unternehmen gewesen, hätten wir es nicht geschafft.«

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