Leseprobe

450 Plauen in einem offenen politisch-gesellschaftlichen Transformationsprozess Bewusst stellte er das neue Vorhaben in die Tradition des Theatervereins, der einst den Bau des Hauses am Ende des 19. Jahrhunderts befördert und erreicht hatte. Als erster Vorsitzender des neuen Fördervereins be- kannte sich Plauens Oberbürgermeister Dr. Rolf Mager- kord zum Theater der Stadt. Langsam, aber stetig wuchs der Zuspruch des Publikums : dank einer klugen Spiel- plangestaltung, vieler Ideen und dem Anknüpfen an bildungsbürgerliche und urbane Traditionen. Heraus- ragend und beispielhaft war die alle Fesseln spren- gende, das Theater vom Dach bis zum Keller in Anspruch nehmende, alle Sparten fordernde und bis an die perso- nellen Grenzen gehende Inszenierung des »Untergang der Titanic« (1997). Die Stadt Plauen hatte Anfang der 90er-Jahre das Haus als städtischen Eigenbetrieb übernommen. Aber von Anfang an schwebte das Damoklesschwert knap- pen Geldes über der Institution Theater. Zwar half das Kulturraumgesetz des Freistaats Sachsen, aber eine Stadt wie Plauen konnte sich ein opulentes Mehrspar- tentheater anscheinend nicht mehr leisten. Lösungen für das Dilemma waren gefragt. Eine geplante Fusion mit dem Theater in Hof, die sich dazu durch den Charme und etatistischen Vorteil einer länderübergreifenden Ver- bindung ausgezeichnet hätte, wurde durch ein Votum der Hofer Bürgerschaft gegen eine solche Zusammen- arbeit abgewiesen. Ein Zusammengehen mit dem Thea- ter Zwickau bot sich danach an. Unbestritten bleibt jedoch, dass Theaterfusionen ein notwendiges Übel marktwirtschaftlicher Szenarien darstellen und der Identifikation einer konkreten Stadtgesellschaft mit sei- nem Theater eher konträr gegenüberstehen. So fand denn auch die nach 100 Jahren Selbstständigkeit 2000 erfolgte Gründung der Theater Plauen-Zwickau gGmbH, gebildet aus dem Vogtlandtheater Plauen und dem The- ater der Stadt Zwickau und mit einem Grundlagenver- trag juristisch abgesichert, nicht nur Befürworter. Von Herbst 1998 bis Sommer 1999 war die 101. Spiel- zeit des Plauener Theaters gelaufen – als »Jubiläums- spielzeit zum 100. Geburtstag« angekündigt. Intendant Dieter Roth scheute sich nicht, den bevorstehenden Verlust des eigenständigen Mehrspartentheaters der Stadt Plauen als »Absurdität einer brutalen gesell- schaftlichen Wahrheit« zu brandmarken. Auf dem Spiel- plan im Oktober 1998 standen neben den obligatori- schen Festveranstaltungen die Puccini-Oper »Turandot«, Lessings »Nathan der Weise« und ein großer Ballett- abend. In der Jubiläumsspielzeit wurden auch die Insze- nierungen der »Rocky Horror Show« in der Sternquell- Brauerei und des Musicals »Jesus Christ Superstar« in der Plauener Johanniskirche zu Publikumserfolgen. Zu- dem erschien eine 280 Seiten starke Festschrift zu 100 Jahren Theater in Plauen, finanziert und herausge- geben vom Förderverein des Vogtlandtheaters Plauen. Das Jahr des Übergangs gestaltete behutsam und erfolgreich der ehemalige Zwickauer Intendant, nun erster Intendant des Theaters Plauen-Zwickau, Wolfgang Hauswald. Er war ehrlich und bekannte : »Gewünscht ha­ ben wir uns die Fusion alle nicht.« Sie sei aus ökonomi- scher Not entstanden und »die beste von allen schlech- ten Lösungen«. Er brachte während seiner Intendanz in Plauen beide Teile von Goethes »Faust« auf die Bühne. Nachdem laut seinem Nachfolger, dem ersten Gene- ralintendanten Georg Mittendrein, der Brecht zitierte, die »Mühen der Gebirge« bewältigt worden seien, ob- läge seinem Team und ihm die Meisterung der »Mühen der Ebene«. Er bot Wagners »Tannhäuser« und das Rock-‘n‘-Roll-Musical »Buddy« mit der Geschichte um den Musiker Buddy Holly. Der Förderverein etablierte in seiner Intendanz ab 2001 die bis heute sehr erfolgrei- che Reihe »Der Theaterförderverein lädt ein« – erster Gast : die aus Jößnitz bei Plauen stammende Opernsän- gerin Dagmar Schellenberger. Eine Vielzahl prominenter nationaler Theaterleute folgte. Gespräche mit Mitarbei- terinnen und Mitarbeitern des Plauener Theaters ge- statten den Blick hinter die Kulissen. Dem Wiener Georg Mittendrein folgte ab 2003 als Generalintendant der promovierte Musikwissenschaft- ler Ingolf Huhn. Für ihn war die Tatsache, dass es in Plauen und Zwickau »ein großes, funktionierendes Theater gibt, und dass hier ein Ensemble ist, das in zwei Häusern ein volles Programm spielen kann – Schauspiel und Musiktheater, Tanztheater, Puppentheater und Kon- zert – eigentlich ein Wunder«. Ingolf Huhn grub verges- sene Werke des Musiktheaters aus – in seiner ersten Spielzeit : »Die Nibelungen« von Heinrich Dorn. 2006 erregte er bundesweit Aufsehen, als er eine Oper Max von Schillings, ein erklärter Antisemit und NSDAP-Mit- glied, auf die Bühne brachte. In seine Intendanz fielen der »Jedermann« von Hugo von Hofmannsthal in der Plauener Johanniskirche und – jahrelang überaus er- folgreich – »Das Ballhaus« von Steffen Mensching. Es war Rüdiger Bloch, Musiker, Dirigent und Ex-In- tendant des Theaters Freiberg, der für ein Jahr (Spielzeit 2008/09) Übergangsnachfolger des Intendanten Huhn wurde. Mit der Spielzeit 2009/10 begann die Ära von Generalintendant Roland May. Mit ihm kam Volker Arnold als Geschäftsführer, der Renate Wünsche ablöste. In- zwischen ist Sandra Kaiser die Geschäftsführerin. Mit Roland May stand jedes Theaterjahr unter einem Motto (beginnend mit »anders leben« bis zum doppeldeutigen »Wiedersehen« 2021/22). Getreu der Devise »Das Beständige ist der Wech- sel« verlief die Personalpolitik des neuen Generalinten- danten. So verabschiedete sich PR-Direktor Christian Pöllmann; seine Arbeit erledigt nun Carolin Eschenbren- ner als Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit. Der Theater- pädagoge Uwe Fischer musste gehen, und in Plauen übernahm Steffi Liedtke die Arbeit mit Kindern und Ju- gendlichen. Im Ballett folgte auf Bronislav Roznos als Ballettdirektor Torsten Händler. Generalmusikdirektor Georg Christoph Sandmann ging, nach ihm kam Lutz de Veer; inzwischen leitet das Orchester Generalmusik­ direktor Leo Siberski. Der personelle Aderlass schlug hohe Wellen. Roland May formulierte in seinem ersten Spielzeitheft : »Die Verknüpfung von bewahrenswerter 2001

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1