Leseprobe
41 denschaft und trotziger elementarer Kraft. Da meine Eltern beide schwer arbeiten mussten, konnten sie nicht erkennen, dass ich ein besonderes Kind war, reich begabt und der lie bevollen Führung bedurfte. So flüchtete ich mich zu den Büchern, die ich wahllos verschlang. Schlechtes und Gutes – alles wurde gelesen, ja geradezu verschlungen. So sah es in meinem Kopf wohl ziemlich wüst aus – denn ich las Bücher von Ganghofer sowohl wie Zolas Germinal [. . .] Mein Vater wurde am 4. August [1916] eingezogen [. . .] musste also Soldat werden – Er wurde zur Infanterie zu den 13ner Jägern eingezogen. Mit Musik marschierten diese durch die Stadt in feldgrauen Anzügen – mit Blumen geschmückt. Die Ange hörigen der Soldaten liefen weinend mit, solange das mög lich war. Nach einiger Zeit merkten auch wir Kinder, was das bedeu tet Krieg. Für uns schmale Rationen, Kartoffelbrot, Kohlrü bensuppe mit Sand, über den der Löffel knirschte und uns Gänsehaut über den Rücken jagte. Schlechte Sandseife, Kälte imWinter, Papierschuhe mit Holzsohlen, Hunger, Unterernäh rung und Hungerödem. Meine Mutter musste arbeiten gehen – Granaten drehen in einer ehemaligen Maschinenfabrik. In Dresden-Neustadt besuchte meine Mutter neun Jahre die Bürgerschule. Bei Villeroy & Boch in Dresden erhielt sie eine Ausbildung zur Porzellanmalerin und betrieb daneben weitere kunstgewerbliche Studien in Dresden und Berlin. Siegfried Donndorf – Prellerstraße 40 1925 heiratete meine Mutter den Maler und Pfarrerssohn Siegfried Donndorf. Seit 1927 lebte sie mit ihm in Dresden- Blasewitz, Prellerstraße 40, Villa »Sommerlust«. Siegfried war der Liebling der schon etwas älteren Besitzerin, Frau Dr. Moritz-Eigendorf, die – originell, imponierend, männerfixiert, unkonventionell – zahlreiche künstlerische Existenzen beher bergte und dabei auch die ehemalige Kegelbahn belegt hatte. Meine Mutter freundete sich mit der Kunstpuppenmacherin Doris Scheinert und ihremMann an, der Violine in der Kirche und Saxofon im Tanzorchester spielte. Neben dem Largo von Händel erklang die tolle Tanzmusik der 20er-Jahre. Meine Frau Ingrid Stilijanov-Nedo und ich waren ebenfalls eng befreundet mit Scheinerts und haben sie nach dem Tod meiner Mutter oft besucht und über vergangene Zeiten gesprochen. Die Villa war Treffpunkt einer außerordentlich solidarischen Künstlergemeinschaft. Enge Freundschaft bestand mit Her mann Teuber, Werner Laves, Hans Jüchser. Hermann Teuber malte meine Mutter mehrfach, einmal vor dem Grammofon sitzend, wovon er 1933 auch eine Grafik fertigte. Als Siegfried Donndorf 1929 den Großen Sächsischen Staatspreis für Landschaftsmalerei (Rompreis) erhielt, der mit einemStipendium für die Villa Massimo in Rom verbun den war, reiste meine Mutter mit ihm durch Italien. Sie war beeindruckt von Rom, Venedig, Florenz, Neapel und beson ders von Capri. Das Blau des Meeres, das sie so liebte, die Sonne des Südens sollten einen starken Einfluss auf ihr zukünftiges Schaffen haben. In Freundschaft trennte sie sich 1931 von Siegfried Donndorf. Aus einem Briefentwurf von 1975 an Gerhardpaul Fried rich, der 1939/40 ihr Gartenatelier in der Prellerstraße über nahm, durch seinen älteren Bruder Helmut schon als Zwölf jähriger durch den Kreis der Prellerstraße geformt und kein Abb. 3 Kinderporträt meiner Mutter, um 1906/07, Fotografie, Nachlass der Künstlerin
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