Leseprobe

7 Sehnsucht nach Schönheit Teresa Ende Ist das Schöne obsolet geworden? Wohl nicht, aber Skepsis ist angebracht, und so erscheint die Kunst der Dresdner Malerin und Zeichnerin Hildegard Stili­ janov, die sich in ihren Arbeiten immer wieder der Schönheit der ganz kleinen Dinge – wie Blumen, Früchte, Küchenutensilien, eine gefaltete Zeitung und ähnlich vertraute Gegenstände des Alltags – widmet, wie ein Ausweg aus dem Dickicht kultureller und poli­ tischer Reparaturfelder. Entsprechend bezeichnete Stilijanov die Schönheit in einem Zeitungsartikel 1978 als ihren »Kraftquell zu neuem Tun«. 1 Seit der Antike wird der Begriff des Schönen in Kunst und Philosophie kontrovers behandelt. In den Debat­ ten konkurrieren stets Vorstellungen vom mensch­ lichen Körper, von Sinnlichkeit und täuschend echter Naturnachahmung mit messbaren Kriterien wie Pro­ portion und Symmetrie sowie mit ethischen Implika­ tionen von Schönheit. Als omnipräsentes, aber kaum greifbares ganzheitliches Ideal, moralisches Korrek­ tiv und harmonisierende Staffage läuft die Idee des Schönen spätestens seit dem 20. Jahrhundert Gefahr, medusenhaft zu versteinern (Christine Buci-Glucks­ mann), und so ist es nicht überraschend, dass der Begriff in der Ästhetik der Gegenwart fast keine Rolle mehr spielt. 2 Wege zur Kunst Die Bildwerdung der »kleinen Dinge, die unser Leben bereichern« und »oft übersehen« werden, setzt eine wertschätzende Grundhaltung, aufmerksame Beob­ achtung und sorgfältige Interpretation voraus. 3 Hilde­ gard Stilijanov gelangte nicht auf direktem Wege zur bildenden Kunst. Im Jahr 1905 in Dresden geboren, absolvierte sie in den 1920er-Jahren zunächst eine Lehre als Porzellanmalerin in der Dresdner Fabrik von Villeroy & Boch, bereiste mit ihrem ersten Ehemann, demMaler Siegfried Donndorf, Italien, nahm Tanz- und Schauspielunterricht. Während des Zweiten Weltkriegs wirkte sie, zeitweise in Vertretung für ihren damaligen Lebensgefährten, den Maler Woldemar Winkler, an der privaten Dresdner Akademie für Zeichnen und Malen von Ernst Oskar Simonson-Castelli mit, wo Ernst Has­ sebrauk lehrte. 4 1944 lernte sie in Wien den Juristen Boris Stilijanov kennen. Gemeinsam gingen sie zurück nach Dresden und erlebten die Zerstörung der Stadt im Februar 1945, die Stilijanov später eindrücklich schilderte. 5 Im gleichen Jahr heiratete das Paar. Kurz vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes Peter musste Boris Stilijanov Deutschland verlassen, um Familien­ angehörige nach Bulgarien zu bringen, und kehrte nicht zurück; 1947 ließ er die Ehe annulieren. 6 Erst 1946 begann Hildegard Stilijanov, selbst Kunst zu studieren. Zunächst war sie Baustudentin an der in Neugründung und Umorganisation begriffenen Akademie der bildenden Künste (ab September 1950 Hochschule für Bildende Künste Dresden), von 1947 bis 1952 studierte sie hier Malerei bei Hans Grundig, Hans Theo Richter und Wilhelm Lachnit. Seither war sie freischaffend in Dresden tätig und beteiligte sich spätestens seit 1952 rege an Ausstellungen, sowohl an den zentralen Dresdner Kunstausstellungen als auch an den hiesigen Bezirkskunstausstellungen so­ wie zahlreichen Sonderausstellungen. 7 Obwohl Stilijanov ihr Kunststudium also erst mit über 40 Jahren aufnahm, war ihre Jugend von der Begegnung, dem Austausch und der Freundschaft mit

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