Leseprobe
39 AN I TA X I AOMI NG WANG Traditionelle chinesische Motive und ihre Symbolik Die Bildsymbolik in der chinesischen volkstümlichen Malerei und Holzschnittkunst arbeitete hauptsächlich mit Homofonen (griechisch: gleichlautend) und Beinahe-Homofonen. Das heißt, die Aussprache oder der Klang zweier Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen sind so ähn- lich, dass eine inhaltliche Verknüpfung zwischen den beiden hergestellt wurde. Dies ist als xieyin ( 谐音 ) bekannt, eine Art rhetorische Technik in der chinesischen Sprache. Bilder mit symboli- schen glück- oder erfolgverheißenden Bedeutungen von Pflanzen, bestimmten Gebrauchs- und Einrichtungsgegenständen, Tieren, verheißungsvollen Mustern und religiösen Zeichen sind in der chinesischen Populärkunst weit verbreitet. Homofone Motive und ihre symbolische Bedeutung Es sind zwei Haupttypen von homofonen Bildern zu unterscheiden. Zum einen das Homofon eines einzigen Bildes: Beispielsweise wird das Wort ji ( 鸡 ) für Hahn gleich ausgesprochen wie ein weiteres Wort ji ( 吉 ), das jedoch mit einem anderen Schriftzeichen geschrieben wird und eine andere Bedeutung hat, nämlich ›glückverheißend‹. Daher ruft die Abbildung eines Hahnes die Assoziation von Glück hervor. Als weiteres Beispiel sei der Begriff Fledermaus genannt. Das Wort dafür bianfu ( 蝙蝠 ) besteht aus zwei Zeichen, wobei das zweite Zeichen fu ( 蝠 ) gleichlautend ist zu einem anderen Zeichen fu ( 福 ), das ›Glück‹ bedeutet. Daher unterstreicht eine Fledermaus in vielen Darstellungen den glückverheißenden Charakter. So begleitet sie den Dämonenbezwin- ger Zhong Kui, dessen Abbild als Türwächter an die Haustüren geklebt wurde, um böse Geister fernzuhalten (Abb. 1). Gelegentlich entsprechen sich Bild und Homofon: Aufgebrochene Granatäpfel mit vielen Kernen werden duo zi ( 多籽 ) genannt, was gleich ausgesprochen wird wie duo zi ( 多子 ) mit der Bedeutung »viele Kinder«. Sowohl die Abbildung von Granatapfelkernen als auch die Aussprache des Wortes symbolisieren daher Fruchtbarkeit und Nachkommenschaft (Abb. 2). Der zweite Typ der Verwendung von Homofonen besteht darin, zwei oder drei Bilder zu einer Redewendung zu kombinieren. Das Wort für Elster beispielsweise lautet xique ( 喜鹊 ). Das erste Zeichen xi bedeutet Freude. Das chinesische Wort für Pflaume mei ( 梅 ) hat den gleichen Klang wie mei ( 眉 ), Augenbrauen. Darstellungen von Elstern mit Pflaumenblüten beziehen sich daher auf die Redewendung xi shang mei shao ( 喜上眉梢 ), was wörtlich übersetzt »die Freude erscheint um die Augenbrauen herum« / »[bringt] Glück bis zu [deinen] Augenbrauen« bedeutet. Auf einem Farbholzschnitt im British Museum findet sich diese Redewendung in Kombination mit der Abbildung von Elstern auf einem Pflaumenzweig. 1 Abb. 1 Dämonenbezwinger Zhong Kui (mit der Darstellung einer Fledermaus oben links), Suzhou, Qing-Dynastie, Ära Kangxi (1662–1722), Farbholzschnitt, 345×315 mm, Inv.-Nr. Ca 160/11 (vgl. Kat.-Nr. 19)
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