Leseprobe

111 Langlebigkeit, weshalb das Motiv häufig in der Kunst dargestellt wurde. Der Pirol beugt sich herab, um Insekten zu fangen. Sein Gefieder ist, ebenso wie die Blütenstempel und die Zitronenschale, mit Gold gehöht. Die Komposition des Insekten fangenden Vogels auf einem Ast auf den Blättern 15 bis 17 entspricht den vorhergehenden Darstellungen, jedoch sind die Zitrusfrüchte gegen Granatäpfel ausgetauscht worden (S. 61, Abb. 3–4). Eine Frucht ist halb geöffnet, sodass die Samen sichtbar sind. Durch die Vielzahl der Samen und durch den Gleichklang von zi ( 籽 ), Samen und zi ( 子 ), Söhne symbolisiert der Granatapfel den Wunsch nach zahl- reicher Nachkommenschaft und insbesondere nach männlichen Erben. Bislang scheint der Erhalt dieser Art der populären Malerei in Dresden einzigartig zu sein. Daher können über die ursprüngliche Funktion nur Vermutungen angestellt werden. Möglicherweise dienten die Aquarelle als Muster für von Frauen gefertigte Stickbilder, das heißt die Umrisse oder einzelne Teile des Bildes hätten ausgestickt werden sollen. 2 Traditionell gehörte die Stickerei zu den als am wichtigsten erachteten Fähigkeiten junger Frauen, die mit ihren Stickarbeiten – Kleidungsstücke, Fächer, Taschentücher, Börsen und Kissen – brillierten. Verbreitet waren aber auch gestickte Bilder, umrahmt von einem Papier- oder Seidenrahmen. Es ist jedoch ebenso möglich, dass die Bilder Grundlage waren für von professionellen Stickerinnen ausgeführte Stick- bilder, die Teil der beliebten Alben shuhuace ( 书画册 ) waren: Gelehrte stellten Alben zusammen mit Gedichten, Malereien und Kalligrafien. Solche Alben konnten gekauft werden mit vorgefertigten Stickbildern und mit leeren Seiten für die eigenen Werke. Anmerkungen | 1 Siehe S. 62. | 2 Nach der berühmten Stickerfamilie Gu, die im 16. Jahrhundert in Shanghai lebte, ist diese Technik guixiu ( 顾绣 ) benannt. Der Stil kombiniert Stickerei und Malerei und wird daher auch huaxiu ( 画绣 ), »gestickte Malerei« genannt. Vgl. Kat.-Nr. 1. Abb. 2 Blatt 13 Pirol und Zitrusfrüchte (Buddhas Hand) 300×237 mm Inv.-Nr. Ca 153/13

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