Leseprobe

13 CORDULA B I SCHOFF August der Starke als Sammler von Asiatika Der sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts in ganz Europa verbreitende, asiatisch inspirierte Kunst- stil der sogenannten Chinoiserie wurde auch am sächsischen Hof gepflegt. Tatsächlich entwi- ckelte sich Dresden sogar zu einem Zentrum der Chinamode. Das entfernte und kaum zugängliche China galt als Land des irdischen Glücks. Die frühen Reisebeschreibungen imaginierten ein Reich des Überflusses, dessen kaiserliche vernunftgeleitete Staatsregierung der Bevölkerung ein Leben in Harmonie garantierte. 1 Die Bildsprache der Chi- noiserie entwickelte und verfestigte solche fantasievollen Vorstellungen einer fremdartig-exoti- schen, zugleich aber heiteren und unbeschwerten Welt. Am sächsischen Hof griff man diese Strömung spät, dafür aber umso entschiedener auf. Die Entwicklung der chinoisen Kabinette, Herzstück der Chinoiserie, hatte bereits über 60 Jahre durchlaufen, 2 bevor sich August der Starke (Abb. 1) beteiligte. Erst ab etwa 1715 begann er, verstärkt Asiatika zu sammeln. Innerhalb kürzester Zeit trug er dann allerdings eine der bis heute umfangreichsten Sammlungen an chinesischem und japani- schem Porzellan, asiatischen Grafiken, chinesischen Specksteinfiguren, aber auch Textilien, Kos- tümen, Waffen und Lackwaren zusammen. Das plötzlich einsetzende und sprunghaft ansteigende Interesse des Kurfürsten an Asien steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gründung der Königlichen Porzellan-Manufaktur Meissen im Jahr 1710. Für sie wurden Vorbilder benötigt, um die asiatischen Porzellanwaren kopieren zu können. 3 Nach der Überwindung technischer Schwierigkeiten galt es, die Meissener Porzellane zu vermarkten. Dazu wurde das Japanische Palais als asiatisches Lustgebäude eingerichtet, in dem die ostasiatischen und die neuen Meisse- ner Porzellane wie in einer Ausstellungshalle vorgeführt wurden (Abb. 2). 4 Während über Augusts Sammelleidenschaft für asiatisches Porzellan ausführlich berichtet und geforscht wurde, ist seine mindestens ebenso bedeutende Kollektion chinesischer und chi- noiser Grafik bislang weitgehend unbekannt geblieben. 5 Dabei handelt es sich um einen außer- gewöhnlichen Bestand: Unter den rund 1100 chinesischen Werken befinden sich nahezu 800 Blätter früher chinesischer Populärkunst (um 1670–1700). Damit kann das Dresdner Kupfer- stich-Kabinett die wohl weltweit umfangreichste Sammlung der in großen Mengen für ein breites städtisches Publikum produzierten Gebrauchskunst aus dem 17. und frühen 18. Jahrhun- dert aufweisen. Fast alle diese Werke stammen aus den südöstlichen Provinzen Jiangsu, Zhejiang, Guangdong und den Hochburgen der Holzschnitt- und Malereiwerkstätten Guangzhou und Suzhou. Sie gelangten über die vier seit 1685 für den Handel mit demWesten geöffneten südöst- lichen Häfen Songjiang, Ningbo, Quanzhou und Guangzhou nach Europa. 6 In China selbst haben sich nur wenige dieser frühen Arbeiten erhalten, da sie häufig als apotropäische Neujahrs- und Glückwunschblätter einer ephemeren Nutzung unterlagen und nicht als sammelwürdige Kunstwerke galten. Die etwa an Türen oder Herdstellen angebrachten Holzschnitte mit Götter- figuren wurden jährlich ausgewechselt und verbrannt. Bislang liegen kaum Erkenntnisse darüber Abb. 1 Martin Bernigeroth nach Anna Maria Werner Frontispiz zu Raymond Le Plats »Recueil des marbres antiques qui se trouvent dans la Galerie du Roy de Pologne à Dresden: avec privilege du roy, l’année 1733« Kupferstich, 425×298 mm (Darstellung), Inv.-Nr. A 26154

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