Leseprobe
Bereits im Juli 1934 wurde erstmals eine sogenannte Durchsichtige Frau, genauer gesagt eine Gläserne Schwangere, der Öffentlichkeit präsentiert. 7 Sie war Teil der Wanderausstellung »Gesunde Frau – Gesundes Volk«, die zu diesem Zeitpunkt in einer Erfurter Turnhalle gastierte. 8 Diese Wanderausstellung war von der Ärztin und Abtei- lungsleiterin im Internationalen Gesundheitsdienst des Museums, Marta Fraenkel (1896–1976), sowie dem Arzt und damaligen wissen- schaftlichen Mitarbeiter Rudolf Neubert (1898–1992) entwickelt wor- den – zunächst noch ohne eine Gläserne Frau. Erstmals war die Ausstellung im März 1932 in Dresden präsentiert worden. 9 Die Aus- stellungstafeln waren durch Bild-Text-Arrangements in Montage- technik geprägt und wurden vereinzelt mit dreidimensionalen Objek- ten wie Präparaten, Moulagen oder Modellen kombiniert, die auch schon in früheren Ausstellungen des DHMD vertreten gewesen wa- ren. 10 Inhaltlich lagen die Schwerpunkte auf der Vermittlung anato- misch-physiologischen Grundlagenwissens über die »Besonderhei- ten« 11 des weiblichen Körpers sowie auf der Optimierung der weib- lichen Haushalts- und Familienarbeit. Ziel war es, über die Vermitt- lung von (Körper-)Wissen die Gesundheit der weiblichen Bevölke- rung zu stärken. Praktische Informationen zu Schwangerschaft, Geburt und Säuglingspflege sowie Warnungen vor Geburtenrück- gang und illegaler Abtreibung bildeten – entsprechend des maßgeb- lichen bevölkerungspolitischen Diskurses der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – einen Schwerpunkt der Wanderausstellung. 12 Gleichzeitig war mit der Betonung der weiblichen Mehrfachbelastung in Familie, Haushalt und Beruf allerdings auch eine Aufwertung von Frauenarbeit verbunden, die – vor dem Hintergrund der Weltwirt- schaftskrise – mit nationalistischem Pathos als »Kampf« um den Erhalt von Volk und Nation stilisiert wurde. 13 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde die Wanderausstellung »Gesunde Frau – Gesundes Volk« überarbeitet und eine ganze Ausstellungsgruppe zum Themenbereich »Bevölke- rungspolitik und Rassenhygiene« hinzugefügt. 14 Vererbungslehre und antinatalistische Maßnahmen des NS-Staats nahmen nun breiten Raum ein. Dafür wurde auf neues Ausstellungsmaterial aus vielfältigen Quellen zurückgegriffen: Großformatige illustrierte Bevölkerungspy- ramiden, die bereits 1933 in der Berliner Reichsausstellung »Die Frau« zu sehen gewesen waren, veranschaulichten Geburtenrückgang und erwartete Überalterung des deutschen Volkes (Abb. 12) – vermutlich im Rückgriff auf die Thesen des Bevölkerungswissenschaftlers Fried- rich Burgdörfer (1890–1967), der an der Berliner Reichsausstellung mitgewirkt hatte. 15 Zudem wurden Lehrtafeln aus der »Unterrichts- sammlung über Vererbung, Rassenpflege, Rassenkunde« eingesetzt, die das DHMD ab 1933 neu als Aufklärungsmaterial vertrieb. Die Rei- he umfasste insgesamt zwölf Lehrtafeln mit Titeln wie »Die Minder- wertigen vermehren sich stärker als die Gesunden« oder »Die Rassen des deutschen Volkes«. 16 Diese Lehrtafeln wurden mit vermeintlich dokumentarischen, jedoch gezielt hergestellten Fotoserien kombi- niert, die das Berliner Aufklärungsamt für Bevölkerungspolitik und Rassenpflege 17 1933 zusammengestellt hatte. 18 Dabei wurden Foto- ERSTPRÄSENTATION IN DER WANDER AUSSTELLUNG »GESUNDE FRAU – GESUNDES VOLK« 42
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