Leseprobe

Gläserne Figuren erhalten transparente Celluloseacetat der Außenhaut, das in der Anfangszeit sensationell neuartige Material, das technikhistorisch den Bau der Figuren überhaupt erst ermöglichte, ist weitreichenden, mit dem Aus- tritt von Essigsäure und Weichmachern verbundenen chemischen Veränderungen unterworfen. Diese Alterungsprozesse verlaufen ste- tig und unumkehrbar. 4 Im Innenraum der geschlossenen Hülle sam- meln sich diese Schadstoffe an und verursachen Schäden an innen- liegenden Bauteilen der Figuren und auch an der Hülle selbst. Der Zugriff auf diese Bauteile wird außerdem durch das weitgehend ge- schlossene Bauprinzip der meisten Figuren erschwert oder sogar ganz verhindert. Eine Öffnung oder ein Entfernen der Außenhülle oder von Teilen davon wäre per se mit einer Beschädigung, im schlimms- ten Falle mit einer Zerstörung verbunden, denn das Wiederzusam- menfügen der gealterten Hülle kann nicht mit der ursprünglichen Technik erfolgen, die neue Schadensprozesse auslösen würde. Ein Belassen der Hülle bedeutet jedoch, bereits vorhandene Schäden und vermutlich auch zukünftige weitere Schäden hinzunehmen. Ins- besondere bei solchen Figuren, bei denen durch Essigsäure- und vor allem Weichmacheraustritt bereits innere Bauteile oder die Hülle selbst stellenweise zu erweichen beginnen, beispielsweise bei der Gläsernen Kuh, stellt dies ein großes Problem dar. Das Material selbst ist also seine eigene größte Schadensquelle – ein scheinbar unlös- bares Dilemma. 5 Wie solche Schadensprozesse gestoppt oder zumindest verlang- samt werden und bereits entstandene Schäden behandelt werden kön- nen, muss vorwiegend auf der konservatorischen Ebene diskutiert und durch naturwissenschaftliche Untersuchungen untermauert werden. Eng damit verbunden, stellt sich auf der restauratorischen Ebene bei den Gläsernen Figuren exemplarisch eine der interessantesten Fragen der Restaurierungstheorie: Welche Alterungsspuren gestehen wir einem Werk zu? Wie gehen wir also mit der Patina eines Werks um? 6 Aber was ist die Patina von Kunststoffen? Die Altersspuren einer verwitterten Holzskulptur, die craquelierte Oberfläche eines Öl- gemäldes, die grüne Patina einer Bronzeschale – sie sind uns heute wohlvertraut, und niemand käme wohl auf die Idee, eine Restaurie- rung mit dem Ziel durchzuführen, das Werk so wiederherzustellen, als ob es gerade neu geschaffen wäre. Schon früh wurde in diesem Zusammenhang der Terminus des Alterswerts von Denkmalen ge- prägt, 7 ein zentraler Begriff für die moderne Restaurierungstheorie. 8 Obwohl sich unsere Sehgewohnheiten schon lange an die dunkle Patina von Sandsteinreliefs oder an goldgelb verfärbte Möbellacke gewöhnt haben und diesen Alterungserscheinungen sogar einen ei- genen Wert beimessen, stehen wir wohl diesbezüglich bei der Be- trachtung gealterter Kunststoffobjekte erst am Anfang. Versteht man den Begriff der Patina als wertgeschätzte Spuren des Alters oder einer historischen Nutzung, muss man sich fragen, welche wir als solche einem positiv konnotierten Alterswert moderner synthetischer Materialien zuweisen. 9 Bei den ältesten Gläsernen Figuren aus den 1930er Jahren zeigen sich beispielsweise deutliche Alterungserschei- nungen in Form starker Vergilbungen der Außenhaut, die zudem mit 107

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