Leseprobe
GLÄSERNER MANN VON 1935 Ausstellungsexponat, Kirmesattraktion, For- schungsobjekt: Der Gläserne Mann von 1935 ist die älteste Figur im Sammlungsbestand des DHMD und hat eine wechselvolle Ge- schichte hinter sich. Nachdem er 2009 nach jahrzehntelanger Odyssee in die Sammlung des DHMD gelangt war, wurde er 2012/13 im Rahmen eines Studierendenprojekts an der Hochschule für Bildende Künste Dresden in Hinblick auf seinen Erhaltungszustand, die Herstellungstechniken sowie seine Objektge- schichte untersucht. 1 Die Studienergebnisse ermöglichten eine Einordnung des Körper- modells in die Herstellungs- und Ausstel- lungsgeschichte Gläserner Menschen am DHMD in den 1930er Jahren und lieferten eine Beschreibung der relevanten Stationen seines »Lebenslaufs«, sodass heute ver- gleichsweise viel über die Geschichte dieser Figur bekannt ist. 2 Der Gläserne Mann war 1935 die fünfte männliche Figur aus der Produktion des DHMD, die offenbar für die Präsentation in den museumseigenen Wanderausstellungen hergestellt worden war. Ab Januar 1936 stand die Figur für Präsentationszwecke zur Verfügung und wurde unmittelbar in den dichten Ausstellungskalender des DHMD eingetaktet. Bis 1944 wurde sie ohne größere Unterbrechungen gezeigt. Da der Gläserne Mann – soweit bekannt – die einzige erhalte- ne Figur des DHMD aus der Zeit vor 1945 ist, die in Deutschland und Europa präsentiert wurde, gibt seine Ausstellungsgeschichte einen einmaligen Einblick in die Nutzung ei- nes solchen Objekts im Nationalsozialismus. Erstmals war der Gläserne Mann im Januar 1936 in der Wanderausstellung »Mor och Barn« (»Mutter und Kind«) in Stockholm zu sehen, die eigentlich um den Gesundheits- schutz von Frauen und Kindern im Rahmen nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik kreiste. › Gläserne Frauen. Eine Ausstel- lungsgeschichte, S. 41 Im Anschluss wurde er bis Mitte 1937 in der Wanderausstellung »Leben und Gesundheit« des DHMD gezeigt, die aus der 1933 eröffneten Exposition »Heil- kräfte der Natur« hervorgegangen war. Trotz des engen Zeitplans der Wanderaus- stellungen kam es – soweit dies rekonstruiert werden konnte – gelegentlich auch zu Sonder präsentationen: Im August 1936 war der Glä- serne Mann beispielsweise auf der Reichen- berger Messe (heute: Liberec/Tschechien) zu sehen und von Mai bis November 1937 ver- mutlich auf der Weltausstellung in Paris. Dort verfügte er auf dem Gelände des sogenann- ten Parc d’Attraction Scientifiques et d’Art über einen eigenen Pavillon mit dem Titel »Le Palais de ›L’Homme de Verre‹«, den das DHMD »auf Einladung« 3 mit Schauobjekten aus eigener Produktion bestückt hatte. 4 Die in Paris gezeigte Ausstellungsgruppe tourte im Anschluss in einer Wanderaus stellung unter dem Titel der erfolgreichen Berliner Reichsausstellung von 1935 »Das Wunder des Lebens« durch Südosteuropa und war bis zum Beginn des Zweiten Welt- kriegs in Rumänien, Bulgarien, der Türkei und Griechenland zu sehen. › Schlüssel objekte der Gesundheitsaufklärung, S. 206 Einen Einblick in die Präsentationsweise der Figur gibt eine historische Fotografie, die den Gläsernen Mann bei seiner Präsenta tion in Sofia zeigt (Abb. 54). Ab 1940 war die Figur schließlich in der vom neuen wissenschaftlichen Leiter des ‹ Abb. 53 Der Gläserne Mann von 1935, Inv.-Nr. 2011/38 139
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