Leseprobe

Produktions- geschichte der Gläsernen Figuren 1945–2000 lungseinheit »Der Mensch« mit dem ersten Durchsichtigen Menschen beherbergt hatte, wurde vollständig zerstört. Auch die Werkstätten brannten fast restlos aus. 17 Nur eine noch nicht vollständig fertigge- stellte Gläserne Frau überstand im DHMD den Angriff. 18 Zwei weitere Gläserne Menschen aus dem Besitz des Museums waren noch 1944/45 in Wanderausstellungen in Westdeutschland und Spanien zu sehen gewesen und ihr Verbleib war zunächst unbekannt. 19 Ein Neu- anfang in der Herstellung Gläserner Figuren war damit unumgänglich – zumal der Schöpfer der ersten Gläsernen Menschen und Leiter der sogenannten Cellon-Abteilung, Franz Tschackert, 1946 aufgrund sei- ner NSDAP-Mitgliedschaft vom Museum entlassen wurde. 20 Die Bergungs- und Aufräumarbeiten am DHMD begannen bereits eine Woche nach dem Bombenangriff. 21 Doch musste sich das Mu- seum in der politischen Umbruchsituation der Nachkriegszeit neu orientieren. Mit Ausstellungs- und Lehrmaterialien zur Verhütung von Geschlechts- und Volkskrankheiten konnte es in der Krisensituation 1945 schnell an das Geschäftsmodell der Vorkriegszeit, das vor- nehmlich aus dem Verkauf von Lehrmitteln und der Organisation von (Wander-)Ausstellungen bestanden hatte, anknüpfen und die politi- sche und finanzielle Unterstützung der Sowjetischen Militäradminis- tration in Deutschland (SMAD) gewinnen. 22 Bereits 1946 wurde das DHMD der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen (DZVG) unterstellt. Nach Gründung der DDR entwickelte es sich zum Zentralinstitut für medizinische Aufklärung. 23 Der Wiederaufbau der Sammlung »Der Mensch« mit dem Gläsernen Menschen genoss sofort Priorität. 24 Die im DHMD verbliebene Gläser- ne Frau wurde noch 1946 fertiggestellt. 25 Im September 1947 lag die erste Neubestellung eines Gläsernen Paares durch die SMAD vor. 26 Doch seine Herstellung lief – auch aufgrund von Materialmangel – nur langsam an. 27 Erst 1949 wurde unter Leitung des neuen Werk- stattmeisters Herbert Kern (1904–1984) ein Gläsernes Paar fertigge- stellt und als Geschenk der sächsischen Landesregierung zum 70. Geburtstag Josef Stalins nach Moskau geschickt. 28 1951/52 sand- te die DDR anlässlich des zweiten Jahrestags der Gründung der Volksrepublik China eine Gläserne Frau in den ostasiatischen Staat, die als persönliches Geschenk an Mao Tse-tung betrachtet wurde. 29 Dass die Gläsernen Figuren als Staatsgeschenke genutzt wurden, kam gerade in den 1950er und 1960er Jahren mehrfach vor. 30 Zu den Empfängern gehörten oft auch blockfreie Staaten, um deren Markt- zugang und politische Anerkennung sich die DDR bemühte. 31 Die ersten neu produzierten Gläsernen Menschen nach 1945 un- terschieden sich deutlich von ihren Vorgängern aus den 1930er Jah- ren. Diese hatten sich durch eine komplexe Ausführung und eine sichtliche Anlehnung an antike Vorbilder ausgezeichnet: Sie standen mit nach hinten geneigtem Oberkörper in leichter Schrittstellung (Kontrapost), Arme und Blick waren nach oben gerichtet. Diese diffe- renzierte Ausgestaltung verschwand nach 1945 und wurde durch eine vereinfachte Körperhaltung ersetzt. Die Beine standen nun parallel zueinander, der Oberkörper wies keine Neigung auf und der Blick war EINFÜHRUNG DER SERIENPRODUKTION UND AUSWEITUNG DER PRODUKTPALETTE 21

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1