Leseprobe
36 doch aufzeigen, wie die Ideen in den Traktaten eines Della Porta, Nazari und anderen den Künstler Castiglione dazu inspiriert haben mögen, seiner künstlerischen Praxis und Selbstdarstellung philosophische Tiefe zu verleihen – und zwar zu jenem Zeitpunkt, als er die Weichen für seine künstlerische Laufbahn in Rom stellte. 3 Solch frühe Ambitionen erlauben uns, ein nuancen- reicheres Profil des Künstlers zu zeichnen, der anfangs der Tradition seiner Heimatstadt Genua treu blieb, indem er sich auf die naturalistische Darstellung von Tieren spezia- lisierte. Sein Geschick bei der Abbildung verschiedenster Tiere in biblischen, pastoralen und mythologischen Land- schaftsbildern blieb ein Leben lang das Markenzeichen von Castigliones Kunst und beeinflusste viele Künstler, die sein Werk kennenlernten. Schon bald von den bedeutenden Vorbildern Giovanni Andrea de Ferrari, Sinibaldo Scorza sowie den in Genua tätigen flämischen Malern abrückend, erweiterte Castiglione die Bandbreite seiner Tierdar- stellungen. Seine Vorliebe für mythologische und allegori- sche Themen, die die Einbeziehung von Naturelementen als Träger neuer Sinngehalte erforderten, trug bedeutend zur Originalität seiner künstlerischen Produktion bei. Deut- lich wird dies in zahlreichen Darstellungen von Circe und die in Tiere verwandelten Gefährten des Odysseus (Kat. 68), in denen die Zauberin in einer unnahbaren oder nachdenk- lichen Pose gezeigt wird, umgeben von diversen Tieren und einer Reihe von Objekten, die auf die Vergeblichkeit menschlicher Ambitionen hindeuten (Abb. 1). Im Einklang mit dem zeitgenössischen Interesse an der Deutung von Mythen als versteckte, auf das tägliche Leben anwendbare Abb. 1 Giovanni Benedetto Castiglione Die Zauberin Circe um 1651 · Öl auf Leinwand · 99× 141 cm Museo Poldi Pezzoli, Milano
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1