Leseprobe
Zeichnungen Castigliones Zeichnungen unterscheiden sich von denen seiner italienischen Zeitgenossen des Seicento vor allem dadurch, dass der Großteil seiner Blätter Ölskizzen auf ungrundiertem Papier sind. Da viele von ihnen unvollendet wirken, wird die Aufmerksamkeit auf ihren Entstehungsprozess gelenkt, und entsprechend kommentierte sein erster Biograf, Raffaele Soprani, die Pinsel- führung des Künstlers, indem er sie als »grazioso, facile« beschrieb. Diese Merkmale verweisen schon auf Castigliones unverwechselbare maniera , von der praktisch alle seine Arbeiten auf Papier geprägt sind. Weil das Zeichen- material aber Öl ist, birgt seine Verwendung auf unbehandeltem Papier gewisse Gefahren: Zu viel Öl würde die Grenzen der beabsichtigten Linien überschreiten, ins Papier einziehen und dieses verfärben. Zu wenig Öl würde eine allzu trockene Linienführung bewirken; der Duktus auf dem Papier erschiene dann nicht mehr fließend. Castiglione bewältigte diese technischen Herausforderungen, indem er mit unzähligen Blättern experimentierte. So lernte er die Möglichkeiten und Grenzen des Mediums wie auch die faszinie- renden Eigenschaften einer »Malerei auf Papier« kennen. Ebenso lernte er, den Druck des Pinsels auf der Bildoberfläche zu variieren, die Transparenz und Opazität seiner Pigmente zu modulieren und das Aus- maß zu kontrollieren, in dem ölhaltige Verfärbungen beim Zeichnen ins Papier eindrangen. Diese Kontrolle gelang ihm dadurch, dass er den Ölgehalt in seiner Zeichenfarbe verringerte oder kleine Mengen Bleiweiß hinzugab, was die Trockenzeit der Ölfarbe verkürzte. Von all diesen Faktoren hing ab, ob er auf dem Papier ein ausgedehntes, ölgesättigtes Farbfeld oder aber kom- paktere Formen generierte, die wiederum auf halbtrockenen Pigmenten basierten. So ließen sich bewusst Kontraste herstellen zwischen breiteren, helleren, ja diffuseren Bereichen im Hintergrund und dunklen, präzisen Bild- abschnitten im Vordergrund, wo er Details hervorheben und die Illusion von Volumen verstärken konnte (hier zeigt sich eine Ähnlichkeit zur Technik der Feder- oder Rohrfederzeichnung mit nachträglicher Lavierung).
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