Leseprobe
15 Diogenes sucht einen tugendhaften Menschen (Kat. 65) sowie beim Einzug der Tiere in die Arche Noah (Kat. 73) und der Geburt Christi mit Gottvater und Engeln (Kat. 72) der Fall gewesen sein. Ab 1645, nach dem Erfolg seines Altarbilds Anbetung der Hirten für die Kapelle der Familie Spinola in Genua (Abb. 1), bekam er durch Mittelsmänner immer wie- der Aufträge zur Gestaltung von Altarbildern für geistliche Orden. 9 Für seine Unbefleckte Empfängnis mit den Heiligen Franz von Assisi und Antonius von Padua (Abb. 2), die er 1650 in Rom fertigstellte, erhielt er viel Beifall, als das Bild im Palazzo Verospi auf dem Corso ausgestellt wurde. Anschließend wurde das Bild in der Kirche des Kapuziner- ordens in Osimo in den Marken aufgestellt, die man 1648 erbaut und der Immaculata geweiht hatte. 10 Es folgte ein Leben als gefeierter Künstler in den frühen bis mittleren 1650er-Jahren, in denen er zwischenzeitlich immer wieder in Genua lebte. Er erhielt Auftragsarbeiten, die uns noch heute in Bann schlagen, wie zum Beispiel seine Allegorie Omnia Vanitas (Kat. 32), die in engem Bezug zu zwei gemalten Versionen steht. 11 Zwar lässt sich in Reiseführern nachlesen, dass es in den Sammlungen und Kirchen Genuas eine Fülle von Gemälden Castigliones gibt, doch könnten Francesco Algarotti und der Konsul Joseph Smith, um nur zwei einflussreiche Kenner von vielen zu nennen, im Laufe des 18. Jahrhunderts sehr viel stärker zur Verbreitung seines Ruhms beigetragen haben. 12 Ab 1743 lobten sie die Zeichnungen des Künstlers, die sich in der Sammlung von Zaccaria Sagredo in Venedig befanden, von denen einige so hoch geschätzt waren, dass man sie gerahmt unter venezianischem Glas zeigte. 13 Tat- sächlich beschrieben verschiedene Autoren Castigliones grafischen Duktus als lebhaft und unbeschwert, als einen Stil, dem oft der Anschein des Unfertigen anhaftete, wie er im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr Bewunderer fin- den sollte. 14 Zeitgenössische Maler, die seinem Werk heute zum ersten Mal begegnen, äußern sich dazu ganz ähnlich. Castigliones prägende Jahre in Genua waren vom Glück begünstigt. Anfangs ging er ins Atelier von Giovanni Bat- tista Paggi, dessen grafische Sammlung, Bibliothek und quadreria eine Fülle von Bildern bereithielten, auf die er während seiner Künstlerlaufbahn immer wieder zurück- greifen konnte. 15 Auch Paggi selbst spielte eine wichtige Rolle, denn mit seinen theoretischen und literarischen Interessen machte er Castiglione mit der entscheidenden Denkfigur der ut pictura poesis vertraut – das Gemälde als ein stummes Gedicht –, und der Neuling lernte das Geschichtenerzählen rasch. Dies war sicherlich auch der Ort, an dem Castiglione mit den neuen Wissenschaften in Kontakt kam, mit der Libertinage und den hermetischen Traktaten, was den Rang einiger seiner Werke noch stei- gern mag. 16 Bei Giovanni Andrea de Ferrari und Sinibaldo Scorza konnte er seine Ausbildung in den Mal- und Druck- techniken fortführen. Die Entstehung seiner vielen grafi- schen Blätter –mit Borstenpinseln undÖl auf ungrundiertem Papier gezeichnet oder gemalt (was von beidem lässt sich schwer sagen) – mag ferner auf seine Kenntnis von Werken Paggis oder auch Exemplaren von Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck in diversen Genueser Sammlungen zurückgehen. In seinen prägenden Jahren wurde seine Ein- führung in die Theorie und Praxis zudem durch das über- reiche Angebot an Kunst in den Sammlungen und Kirchen Genuas ergänzt. Er profitierte von der unvergleichlichen Bandbreite und dem Tiefgang der italienischen Malerei aus Venedig, Florenz, Bologna, Rom und Mailand sowie von den flämischen und holländischen Gemälden aus Nordeuropa. Abb. 2 Giovanni Benedetto Castiglione Unbefleckte Empfängnis mit den Heiligen Franz von Assisi und Antonius von Padua 1649–1650 · Öl auf Leinwand · 367×221 cm Minneapolis Institute of Arts
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