Leseprobe
11 dorf und Frankfurt zu den neuen Kunst- und Galeriezentren ent- wickelten.19 Ebenso blieben die künstlerischen Ansätze der Berliner Fantasten ein lokales Phänomen der ersten Nachkriegs- jahre. Jedwede Form figürlicher Malerei, auch des Surrealismus, wurde zugunsten einer ungegenständlichen, abstrakten Mal- weise zunehmend abgelehnt.Wichtige Vorbilder und Wegberei- ter waren der bereits genannte Willi Baumeister, aber ebenso Paul Klee und Fritz Winter.20 Auch Carlfriedrich Claus rezipierte ausführlich die Kataloge über Klee und tauschte sich mit seinen Briefpartner:innen über sein Werk aus.21 Zu Fritz Winter konnte er sogar Kontakt aufnehmen und erhielt von ihm eine Arbeit geschenkt,22 die er in der Galerie Schüler in Berlin auswählen konnte.23 Neben diesen Künstlern, deren Arbeiten bereits in den 1920er Jahren anerkannt waren, entwickelten sich unter den jungen Künstler:innen der Bundesrepublik neue Formen gegen- standsloser Malerei. Ein wichtiges Ereignis stellte die Ausstel- lung der sogenannten Neuexpressionisten in der Zimmergalerie Franck am 11.Dezember 1952 in Frankfurt dar. Gezeigt wurden Werke von Karl Otto Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze, die als erste Beispiele eines deutschen Tachismus gehandelt wurden.24 Die später von den Medien als »Quadriga« bezeichnete Gruppe fand ihre künstlerischen Inspirationsquel- len vor allem in Paris und den USA,wo sich die Avantgardekünst- ler:innen bereits von der geometrischen Abstraktion und einem gegenständlichen Surrealismus losgesagt hatten, um stattdes- sen einen vollständig gegenstandslosen,expressiven Malstil zu entwickeln.25 Die Frankfurter Künstler lernten diese Werke auf Reisen nach Paris, durch internationale Zeitschriften und durch die von den Besatzungsmächten veranstalteten Ausstellungen kennen.26 Mit Karl Otto Götz, vor allem aber mit Bernard Schultze stand Claus durch die Vermittlung von Will Grohmann in Kon- takt.27 Mit Schultze und seiner Frau verband ihn eine jahrelange Freundschaft, die sie auch durch persönliche Treffen in Berlin (West) pflegten. Schultze hatte dort mehrere Ausstellungen in der Galerie von Walter Schüler, die nach der Galerie Rosen die zweite private Galerie nach Kriegsende war.28 Obwohl Claus sich selbst vornehmlich als Autor und nicht als bildender Künstler verstand,gibt es in seiner künstlerischen Genese Parallelen zwi- schen den Diskursen rund um die Surrealisten, aber auch um die informellen Maler der 1950er Jahre, die er in Berlin (West) traf. Vor allem die Auseinandersetzung mit dem Unterbewussten und dem Automatismus sind Aspekte, die im Surrealismus sowie in der informellen Malerei eine Rolle spielten. In Bernard Schultzes erstem Brief an Carlfriedrich Claus im Jahr 1956 versuchte der Maler, ihn über die neuen Tendenzen sowohl in der Malerei als auch in der Poesie zu informieren. Er beschrieb, dass es bei sei- ner Malerei darum ginge, den Zufall zu steuern »in dem eigen- tümlichen Zustand der Trance, des Automatismus, und wacher Kontrolle. Unbewusst-bewusst.«29 Im Sommer 1957 sowie 1958 experimentierte Claus ebenfalls mit spontanen, gestischen Zeichnungen,die er als »psychische Exerzitien« verstand,durch die er spontan in Unterschwelliges vorzustoßen,es zu »befreien« suchte.30 Dieses von ihm als Automatisches Tagebuch bezeich- nete Experiment ebnete den Weg von den typografischen Klang- Gebilden hin zu den handschriftlichen Denklandschaften.31 In einem Brief an Claus aus dem Jahr 1957 erklärte auch Will Grohmann, dass er in seinen Gedichten Parallelen zu den Gerhard Altenbourg während seines Aufenthalts im Gastatelier der Akademie der Künste Berlin (West) im Februar 1961 Carlfriedrich Claus und Gerhard Altenbourg im Gespräch bei der Ausstellungseröffnung von Bernard Schultze in der Galerie Schüler 1961
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1