Leseprobe
39 Stätten des klassischen Weimar eine bürgerliche Identifikationsfigur, als ein Symbol der deutschen Einheit, wenn diese auch – weit vor der Reichseinigung von 1871 – nur kulturell zu verwirklichen erschien. Die Gründung des Schillerhauses war eine Unternehmung bürgerlicher Akteure, anders als das kurz zuvor gescheiterte Vorhaben der deutschen Fürsten von 1842, das Wei- marer Goethehaus zum ersten Nationalmuseum der Deutschen zu machen. Weimars Stadtdirektor, Bürgermeister Carl Georg Hase, war, obwohl hochbetagt, vormärzlichen Ideen gegenüber offen, seinWirken ist allerdings bislang noch kaum erforscht. 1847 erwarb er das Haus an der Esplanade, heute Schillerstraße, für die Stadt imRahmen einer Versteigerung, ermöglicht durch den Tod der zwischenzeitlichen Besitzer, der Familie Weise. Hase überbot den Gastwirt und Fleischer- meister Bäumler, um so eine »Profanierung« zu verhindern. Das groß herzogliche Haus beteiligte sich demgegenüber nicht; Erbgroßherzog Carl Alexander stiftete lediglich Schillers Bett. Es folgte, vermutlich erstmals im deutschen Kulturraum, die plan- mäßige Musealisierung ehemaliger bürgerlicher Wohnräume durch nachträgliche Wiedereinrichtung. Dies geschahmit großemAufwand: Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wurden befragt, die – gerade eben noch – erreichbar waren. Der alte Johann Jakob Graff, Hofschauspieler in Weimar und 1799 bei der Uraufführung der Wallenstein, gab zu Protokoll, er könne sich »auf die innere Einrichtung des Schiller’schen Wohnzimmers nicht mehr besinnen […]. Nur so viel sei ihm erinner- lich, daß rote Vorhänge darin gewesen seien«. Damit ist der Übergang vom »kommunikativen« zum »kulturellen Gedächtnis« (Jan Assmann) bezeichnet. Das Gedächtnis der Lebenden – also das kommunikative Gedächtnis – verschwimmt nach einer Zeitspanne von ca. 40 Jahren (die Farben bleiben am längsten in der Erinnerung), und das kulturelle Gedächtnis, hier verkörpert durch ein Dichterhaus, übernimmt das, was auch für die nachfolgenden Mitlebenden bewahrenswert er scheint: die Erinnerung an den großen Dichter und das Bedürfnis, für diese Erinnerung einen begehbaren Ort zu haben.
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