Leseprobe

47 Stätten des klassischen Weimar »Campagne in Frankreich« 1792 als Begleiter des Herzogs, und zugleich als wirtschaftliche Absicherung für den Fall, dass der Herzog im Rahmen der Kriege mit dem revolutionären Frankreich zu Tode kommen sollte. Seit 1792 bewohnte Goethe sein Haus als Besitzer, gestaltete es nach seinen Wünschen um (repräsentatives Treppenhaus mit Bildpro- gramm, Brückenzimmer, Juno-Zimmer) und machte es zum Ort sei- ner Sammlungen zu Natur und Kunst. Diese stehen wiederum für Goethes schriftstellerisches Werk im Ganzen, welches seinerseits ein großes Sammlungsunternehmen ist, eine Sammlung von Motiven, Formen, Texten der gesamten Weltliteratur, die Goethe modernisie- rend in sein universales Werk eingeschmolzen und in ihm aufgehoben hat. Eben hierzu – zur Existenz des universalen Sammlers – bot sich das geräumige Haus an, das Familienwohnung, privaten Arbeitsbe- reich und repräsentative Räume umfasste und deren klare Trennung voneinander ermöglichte. Schon der Erbauer des Hauses, Georg Caspar Helmershausen, war kunstsinnig gewesen und hatte in Johann Mützel – so die gängige Vermutung – einen kultivierten Architekten gewonnen. Das heute noch vorhandene Portal der Erbauungszeit spielt an auf das Portal der Villa d’Este in Tivoli bei Rom. Die lateinische Inschrift weist eher auf einen klassischen als auf einen barocken Bezugsrahmen, was Goethe zusagen musste (Christian Hecht 2020). Zugleich drückt sich in den verschiedenen Anspielungen auf die römische Welt auch das Selbstverständnis der Weimarer Ernestiner aus, deren Vorfahren 1547 bei der Schlacht von Mühlberg – aus ihrer Sicht: ungerechter- weise – die Kurwürde verloren und eigentlich doch Anspruch auf römisches Kaisertum hatten,20 das, wenn auch seit 1562 in Frankfurt amMain vollzogen, noch wie selbstverständlich zu Goethes geistiger Welt gehörte – zumal er die Krönung des römischen Kaisers Joseph II. 1765 in Frankfurt als Jugendlicher persönlich miterlebt hatte ( Dich- tung und Wahrheit , fünftes Buch). Aus Goethes Frankfurter Jugend stammt auch das Leben als Sammler, nämlich von seinem Vater Johann Caspar. 20 Kurwürde heißt: Als einer der (üblicherweise sieben, später neun oder zehn) Kurfürsten den römisch- deutschen König zu wählen (der dann zum Kaiser gekrönt wurde), denn das alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation (bis 1806) war eine Wahlmonarchie.

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