Leseprobe

89 Stätten des klassischen Weimar Bauens in Deutschland. Der Grundstein wurde 1792 gelegt. 1797 bezog Herzog Carl August das Haus als Nebenresidenz und nutzte es als sol- che bis ins hohe Alter hinein. Hoch über dem Ilmpark gelegen, bot es ihm einen repräsentativen Rückzugsort und war zugleich ein archi- tektonisches Modellhaus, das Grundsätze eines frühen Klassizismus verwirklicht; es »wurde zum Brennpunkt der architekturtheoreti- schen Debatte« (Andreas Beyer). Während auf der Parkseite (Ostseite) archaische dorische Säulen, einst rot und gelb bemalt, den Eindruck erwecken, als sei das Haus auf den Resten eines älteren, griechischen Tempels errichtet worden, wird auf der Stadtseite (d.h. von Westen) die schlanke ionische Eleganz eines römischen Landhauses sichtbar. Darin spiegeln sich Erfahrungen der Reise wider, denn Goethe hatte in Norditalien das Werk des Renaissancearchitekten Andrea Palladio kennengelernt, welcher ihn wiederum zur Lektüre Vitruvs ( Zehn Bücher über die Baukunst ) führte. Im Süden hatte er auf der Reise nach Sizilien Paestum besucht, das antike Poseidonia. Paestum wurde um 600 v. Chr., also in vorrömischer Zeit, gegründet und gehörte damit zu Großgriechenland (»Magna Graecia«), dem antiken Süditalien, das über Siedler von griechischer Kultur geprägt wurde. Die Ruinen der dorischen Tempelanlagen aus der Blütezeit der Stadt, um 500 v. Chr., sind bis heute erhalten. In der Renaissance unbeachtet geblieben, wurden sie im 18. Jahrhundert in verlassener Sumpflandschaft wie- derentdeckt und von Winckelmann gewürdigt ( Anmerkungen über die Baukunst der Alten , 1762). Die Tempelanlagen stehen insofern für den ersten Kontakt des modernen Europäers mit der griechischen Antike. Goethe reflektiert seinen Besuch in Paestum in der Italienischen Reise : »Von einem Landmanne ließ ichmich indessen in den Gebäuden her- umführen; der erste Eindruck konnte nur Erstaunen erregen. Ich befand mich in einer völlig fremden Welt. Denn wie die Jahrhunderte sich aus dem Ernsten in das Gefällige bilden, so bilden sie den Men- schen mit, ja sie erzeugen ihn so. Nun sind unsere Augen und durch sie unser ganzes inneres Wesen an schlankere Baukunst hinangetrie- ben und entschieden bestimmt, so dass uns diese stumpfen, kegel- förmigen, enggedrängten Säulenmassen lästig, ja furchtbar erschei- nen. Doch nahm ich mich bald zusammen, erinnerte mich der Kunst-

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