Leseprobe

Quartier der Moderne 129 1903 die monumentale, postume Nietzsche-Herme von Max Klinger aufgestellt (eine weitere befindet sich heute im Eingangsbereich des Residenzschlosses). Später wurde van de Velde mit einem Nietzsche- Denkmal beauftragt, einer Tempelanlage mit Stadion, gewissermaßen als Stadtkrone, über demNietzsche-Archiv gelegen, deren Ausführung durch den Ersten Weltkrieg verhindert wurde. Für den üblichen Wei- marbesucher erschien das Nietzsche-Archiv eher wie ein Dichterhaus. 1908 hieß es imWeimarführer von Paul Kühn: »Weimar ist ein Mag- net, der die Geister anzieht; im Jahre 1897 verlegte Frau Elisabeth Förs- ter-Nietzsche das ihrem großen Bruder gewidmete, von ihr begrün- dete Nietzsche-Archiv nach der Goethe-Stadt. Dieses Haus auf der Höhe nach Berka, das, weithin sichtbar, einen ungehemmten Rund- blick gewährt, ist geweiht, wie unten in der Stadt die Dichterhäuser und das Liszt-Museum.« Doch das Nietzsche-Archiv geriet selbst bald ins Zwielicht. Elisabeth war »das Unglück für die gesamte Nietzsche-Edition und -Rezeption« (David Marc Hoffmann), ihr Archiv war keine wissenschaftliche Ein- richtung, sondern ein Familienunternehmen. Sie kompilierte den Willen zur Macht (1906) als vermeintliches systematisches Hauptwerk Nietzsches, und sie empfahl mit einer auflagenstarken »Kriegsaus- gabe« des Zarathustra ihren Bruder als Kriegsphilosophen. Dieser sollte möglichst als Antisemit erscheinen; dass er die Haltung seines Schwagers Bernhard Förster abgelehnt hatte, wurde verheimlicht. Der in Weimar gegründeten Republik von 1919 stand Elisabeth Förster- Nietzsche verständnislos gegenüber; die Gedanken ihres Bruders sah sie vielmehr im italienischen Faschismus verwirklicht. Die Huldigun- gen Hitlers, der Weimar liebte oder zu lieben vorgab, nahm sie, hoch- betagt, gerne entgegen. Der Nationalsozialismus hatte in Weimar, damals Landeshauptstadt Thüringens, früh Wurzeln fassen können. Hitler ließ sich mit Nietzsches Büste ablichten. Ob er je eine Zeile von ihm gelesen hat, wird bezweifelt. »Das Nietzsche-Archiv hat, wie man weiß«, so Carl August Emge, damals Vorstandsmitglied der Stiftung Nietzsche-Archiv, im Dezember 1933, »unmittelbare Beziehungen zu dem Führer. Wir könnenmit Stolz sagen: Es gibt wohl außer Bayreuth keine Stätte, die durch den Führer nach außen hin so anerkannt ist als

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