Leseprobe
Gedenkstätte Buchenwald 158 geräumte und daneben zugewachsene Flächen, Friedhöfe, ein Stein- bruch, Überreste eines Bahnhofs und einer großenWaffenfabrik, dazu noch ein weithin sichtbarer Glockenturm oberhalb von Massengrä- bern, mit einer der größten Figurenplastiken im Land – dieses Ensem- ble ist weit mehr als ein Museum und wirft jede Menge Fragen auf: Wie umgehen mit einem Ort, an den über 277000 Menschen gegen ihren Willen verschleppt wurden? An dem mehr als 56000 um ihr Leben gebracht wurden und der nach dem Krieg ein zweites Mal als Lager diente – und dann, ab 1958, als Nationale Mahn- und Gedenk- stätte Buchenwald den ideologischen Brückenschlag vom kommunis- tischen Widerstand vor 1945 zur offiziellen DDR-Staatsdoktrin lie- ferte? Wie sich zurechtfinden zwischen all den persönlichen Erinne- rungen, Täterinnen- und Täterdokumenten, historischen Analysen, politischen und moralischen Bewertungen, den Kunstwerken und Texten, Objekten, archäologischen Funden, Legenden, ideologisch verbrämten Geschichten und den Emotionen, die angesichts der viel- fältigen Verbrechen aufkommen? Welche Interessen führten zur Eröffnung und Gestaltung von Räu- men und Ausstellungen, aber eben auch zumVerdrängen, Tabuisieren und Vergessen von Geschichten? Allein die widersprüchlichen Asso- ziationen, die Neil MacGregor in seinemBand Deutschland. Erinnerun- gen einer Nation mit der Inschrift »Jedemdas Seine« in der Eingangstür des Lagertors verbindet, reichen von dem antiken Ursprung der Vor- lage »suum cuique« über die in Weimar 1715 uraufgeführte Kantate Jedem das Seine von Johann Sebastian Bach bis hin zur Biografie von Franz Ehrlich, der für die Buchstaben im Tor eine im Bauhaus ent- worfene Schrifttype verwendete – ob dies ein bewusster Widerstands- akt war, ist nicht mehr aufzuklären; sicher ist nur, dass die Gefange- nen, die während ihrer KZ-Zeit oft an der Inschrift vorbeikamen, den Text im Lagerkontext als zynische Demütigung erlebten – der Bezug zum Bauhaus-Design hat jedoch in der Überlieferung der ehemaligen Häftlinge nie eine Rolle gespielt. Buchenwald, 1937 zunächst als Konzentrationslager Ettersberg, nach Dachau und Sachsenhausen als drittes zentrales Konzentrations- lager mit dem Ziel realisiert, die Arbeitskraft der Häftlinge bis zum
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