Leseprobe
Quartier der Moderne 159 einkalkulierten Tod brutal auszubeuten, war zwar von Weimar aus nicht zu sehen, aber im Alltag der Stadt durch die SS und die Verhaf- teten, die alle über den Hauptbahnhof ankamen, sehr präsent. Die Nationalsozialistische Kulturgemeinde nahm sogleich Anstoß an dem Namen (nicht aber an dem Lager selbst), und zwar mit der ausdrück- lichen Begründung, dass »Ettersberg mit dem Leben des Dichters Goethe im Zusammenhang steht«. Wenig später wurde durch Hein- rich Himmler nach dem Baumbestand die Bezeichnung »Konzentra- tionslager Buchenwald/Post Weimar« eingeführt. Damit war die ver- hängnisvolle Abspaltung eines »guten Weimars« im Zeichen Goethes vom politischen Weimar vorweggenommen, die nach dem Krieg, in der DDR und auch danach, prägend wurde zum Umgang mit dem PhänomenWeimar überhaupt. Über 277000Menschen, in den Jahren bis 1945 zu »Volksfeinden« erklärt und willkürlich als »Asoziale«, »Bibelforscher«, »Homosexuelle«, »Juden«, »Politische«, oder »Zi geuner« kategorisiert und tituliert, wurden dorthin verschleppt, ab 1939 vor allem Gefangene aus den besetzten Ländern. Über 57000 wurden bis April 1945 von den SS-Angehörigen um ihr Leben gebracht. Die entscheidende Grenze zwischen der nationalsozialistischen Volks- gemeinschaft und den von ihr Verfolgten verlief nicht auf dem Berg, sondern in den Köpfen der Bevölkerung, die aus Fanatismus, Gleich- gültigkeit oder Angst die Ausgrenzung akzeptierte. Die Gestaltung von Erinnerungen an die systematischen Verbrechen sowie den kollektiven und individuellenWiderstand war ein konflikt- reicher Prozess. Die Entwicklung von der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte der DDR zur heutigen Stiftung Gedenkstätten Buchen- wald und Mittelbau Dora wurde nicht nur geprägt von politisch Ver- antwortlichen, Historikerinnen, Historikern und Überlebenden, son- dern auch von Besucherinnen und Besuchern, die aufgrund ihrer Erfahrungen und Sichtweisen zum Teil völlig anders als geplant auf die Präsentationen reagierten. Chronologie 1945–2020: Personen, Orte, Ereignisse und Objekte: Eine Geschichte der Gedenkstätte ist bislang nicht erschie- nen. »Selbstbefreiung« oder »Befreiung, von innen vorbereitet und von außen ermöglicht« – schon die Frage, wer was am 11. April 1945
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