Leseprobe
9 Ein geschichtlicher Abriss Ein Museum wie das Wittumspalais, also das Stadtschloss der Herzogin Anna Amalia in der historischen Stadtmitte, ist gewiss nicht als solches interessant und schon gar nicht seine Objekte. Relevant und sprechend wird es als ein Ort der Konstruktion einer Weimarer Klassik aus dem Geist höfischer, also politischer Kunstförderung. Dabei wird ein doppelter, ein mehrfacher Er- innerungsort sichtbar, ein Geschichtsort mit mehreren Zeitschichten, in Sichtachsen verbun- den, in verschiedensten Perspektivierungen, manchmal verstörend und doch aufeinander be- zogen. Dazu gehört ebenso die Großartigkeit der Weimarer Klassik wie ihr Schatten: eine Klassik im Umkreis eines Hofes zu sein, die, vom Fürs- tenhaus dominiert, in der deutschen Kulturge- schichte Anteil hat an einer verhängnisvollen Entwicklung, nämlich der, die politische Ent- wicklung der kulturellen unterzuordnen. Dies ist eine Grundfrage der deutschen Geschichte. Ein Schriftsteller des Exils hat diese Frage grundle- gend erörtert, nämlich Thomas Mann in seinen Essays ( Deutschland und die Deutschen , 1945) und vor allem in seinem großen Altersroman Doktor Faustus (1947). »Weimar« und »Buchenwald« – die kulturelle Spitzenleistung wie der Zivilisa- tionsbruch – stehen in einer verstörenden Ver- bindung zueinander. Diese Verbindung lässt sich, ein wenig jedenfalls, nachvollziehen an- hand der komplex gewachsenen Landschaft von Museen, die in ihrer Gesamtheit, ja mehr noch in ihrem geschichtlichen Gewordensein, vorgestellt werden. Und dies deshalb, weil sich die museale Welt Weimars, vorübergehend ausgebremst durch die Lockdown-Krise, weiter ausdifferen- 1 1650 waren es 2900 Einwohner, 1762 6300, um 1800 – also in der später »klassisch« genannten Zeit – 7500. ziert und mit dem Quartier der Moderne rund um Gauforum und Bauhaus-Museum nördlich der Altstadt einen fundamentalen, wenngleich verspäteten Modernisierungsschub durchläuft, der mit der Erneuerung des Komplexes von Goethehaus und Goethe-Museum sowie des Re- sidenzschlosses fortgesetzt wird. Zum Quartier der Moderne gehören das Mu- seumNeues Weimar und das neue Bauhaus-Mu- seum, beide in eigenständigen Museums(neu) bauten (1869 und 2019). Hinzu kommen die Aus- stellung zur Geschichte des Gauforums, und da- mit zum nationalsozialistischen Weimar, im Gauforum selbst und künftig die Ausstellung »Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbei- ter und der Krieg«, die, ebenfalls im Gauforum, ab 2023 dauerhaft gezeigt werden soll. Ebenfalls Teil des Quartiers der Moderne sind das Stadt- museum im nahegelegenen Bertuchhaus sowie die Stätten der Demokratie und ihres Scheiterns: das neue Haus der Weimarer Republik, allerdings in der Stadtmitte gelegen, und die Gedenkstätte Buchenwald, geografisch außerhalb der Stadt ge- legen, aber sachlich-historisch in ihrer Mitte; in der DDR eingerichtet, wurde sie 1994 und 2016 grunderneuert.
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