Leseprobe
126 Vielfalt, die es in der Bundesrepublik gab. Bis 1965 die Verhütungs- pille eingeführt wurde, war das Kondom das am häufigsten verwen- dete Verhütungsmittel in der DDR. 9 Aber auch danach wurde das Kondom nicht vollständig verdrängt, wie unter anderem aus den Kund:innenbriefen an den Kästner-Versand hervorgeht. Dem Sexual- wissenschaftler Siegfried Schnabl zufolge verwendeten 1973 36 bzw. 40 Prozent der ostdeutschen Frauen und Männer, die überhaupt ver- hüteten, Kondome bzw. Kondome zusammen mit anderen Mitteln. 10 Ab Mitte der 1980er-Jahre gewann das Kondom zum Schutz vor einer HIV-Infektion in der DDR erneut an Bedeutung. 11 1990 war unter den 30- bis 40-jährigen ostdeutschen Frauen allerdings weiterhin die Pille 12 das verbreitetste Verhütungsmittel, gefolgt vom Kondom. 13 Die Bestellungen und Dankesbriefe an den Kästner-Versand wur- den sowohl von Frauen als auch von Männern verfasst, die in hetero- sexuellen Partnerschaften lebten und zur Schwangerschaftsverhü- tung innerhalb dieser Partnerschaft Kondome nutzten. 14 In einzelnen Fällen wurden die Kondome von Männern bestellt, die entweder keine Angaben dazu machten, in welchem Kontext sie die Präservative benutzen wollten, oder erklärten, dass sie sie für spontane sexuelle Kontakte, etwa auf Reisen, benötigten. 15 Den Quellen lässt sich nicht entnehmen, wie viele Kondome in welchem Zeitraum bestellt wurden. Es kann aber festgestellt werden, dass sich das Angebot – und ent- sprechend auch die Nachfrage – im Lauf der Zeit wandelten. Die Kund:innenbriefe wurden danach befragt, welche Bedeutung die Nut- zer:innen den mondos -Kondomen zuschrieben. Welche Aussagen werden über sexuelle Praktiken, Beziehungen und Selbstverständ- nisse gemacht? Wie wurden unterschiedliche mondos -Modelle be- wertet und mit welchen sexuellen Erlebnissen wurden sie in Verbin- dung gebracht? Die Zuschriften liefern darüber hinaus Erkenntnisse über die Zugänglichkeit und die Erwerbswege von Kondomen in der DDR. Die Kund:innen zeigten sich Hans Kästner und seinen Mitarbeiterin- nen gegenüber zunächst vor allem dafür dankbar, dass der Kondom- versand ihnen ein Sexualleben ermöglichte, das von der Sorge vor einer ungewollten Schwangerschaft oder – seltener – vor der Über- tragung von Geschlechtskrankheiten befreit war. Nie sprachen die Kund:innen explizit davon, keine Kinder (mehr) zu wollen, sondern stellten vielmehr in den Vordergrund, dass die Partnerschaft durch die Produkte von Herrn Kästner profitiere: »Wir haben nun unsere neue Wohnung und sind auch Dank Ihrer Hilfe sehr glücklich und zufrieden«, 16 schrieb Frau K. und machte damit deutlich, dass Privat- sphäre und Schwangerschaftsverhütung wichtige Voraussetzungen für die Qualität ihrer Beziehung waren. Manche Zuschriften legen nahe, dass ebenso Paare, die möglicherweise sexuelle Probleme hat- ten, über die Entdeckung des Kondomversands froh waren: »So ha- ben Sie mir und meiner Frau geholfen, DEN Intimen [sic] Kontakt gut und sicher fortzusetzen«, 17 bedankte sich Herr K. im September 1986. Eine Frau H. offenbarte, dass ihr »Intimleben [...] wieder ohne Pro ERMÖGLICHUNG GESCHÜTZTER SEXUALITÄT UND FAMILIEN PLANUNG – BEZIEHUNGS- GLÜCK DURCH KONDOME
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