Leseprobe

157 Grün ist sicherlich die dominierende Farbe auf der Palette von Ludwig von Gleichen-Ruß- wurm. In unterschiedlichen Tönen, Nuancen und Schattierungen gelingt es ihm, Jahres- zeiten und Wetterstimmungen überzeugend darzustellen. Für einen Künstler, der in der Hauptsache als Landschaftsmaler wirkte und manchem auch als Pionier für den Impres- sionismus in Deutschland gilt, 1 ist das nicht verwunderlich; schließlich wird der Einsatz von leuchtenden, hellen Farben gemeinhin als typisches Merkmal einer impressionisti- schen Kunstauffassung angeführt. Viel eher mag die Tatsache überraschen, dass sowohl Ludwig von Gleichen-Rußwurm als auch beinahe alle prominenten Vertreter des Impres- sionismus schwarzweiße Druckgraphiken geschaffen und auf den Einsatz der Farbe bewusst verzichtet haben. Vorbilder aus Frankreich Der Blick nach Frankreich zeigt, dass schon in der Premieren-Ausstellung der Impressio- nisten, die 1874 in den Räumen des Fotografen Nadar (eigtl. Gaspard-Félix Tournachon) stattfand, zahlreiche schwarzweiße Druckgraphiken präsentiert wurden. Tatsächlich stellte man dort ja nicht unter dem Label ›Impressionisten‹ aus, 2 sondern trat als »Société anonyme des artistes, peintres, sculpteurs, graveurs, etc.« auf, also einer Gesellschaft, in der die (Kupfer)-Stecher, und damit die Druckgraphik, explizit genannt wurde. 3 Folglich galt dieses Medium von Beginn an als ein probates Mittel, um die neue Kunstauffassung adäquat auszudrücken. Eine Reduktion auf die Farbe war nie ein ausschlaggebendes Kri- terium. Vielmehr ist es das schnelle Arbeiten, bestenfalls ›en plein-air‹, mit dem eine bestimmte Situation, die Atmosphäre eines Augenblicks, festgehalten werden sollte und – im Umkehrschluss – eine gewisse Tendenz zur Abstraktion, die den künstlerischen Duktus prägt. Druckgraphische Wiedergaben von Gemälden, die deren Popularität steigern sollten, machten nur einen geringen Teil aus. Ohnehin begann in dieser Funktion die Foto- grafie der Druckgraphik bereits den Rang abzulaufen. Doch gerade diese »mechanische, seelenlose Reproduktion«, so polemisch formulierte es Théophile Gautier, habe schon mehr als einen Maler dazu gebracht, zur Radiernadel zu greifen. 4 Ein wesentliches Merk- mal der impressionistischen Druckgraphik ist das Experiment, das Ausreizen der künst- lerischen Möglichkeiten des Mediums. Tatsächlich versuchten sich schon vor der Jahrhun- dertmitte Künstler wie Camille Corot, Charles-François Daubigny und andere Kollegen der sogenannten Schule von Barbizon darin, fortschrittliche Methoden in der Druckgraphik zu erproben. 5 Dass in Weimar die zeitgenössische französische Kunst schon früh nicht nur bekannt war, sondern auch bewundert wurde, haben insbesondere die Forschungen von Gerda Wendermann und Hendrik Ziegler gezeigt. 6 Auf die Reisen von Gleichen-Rußwurm nach Paris und auf seinen Aufenthalt in Fontainebleau wurde ebenfalls bereits verwiesen. Neu – und wiederum Gerda Wendermann zu verdanken – ist die Kenntnis, dass Gleichen- Rußwurm selbst französische Graphik sammelte. So hat sich imDeutschen Literaturarchiv in Marbach unter anderem eine Mappe mit Werken von französischen Künstlern wie Théo- dore Rousseau, Narcisse Diaz de la Peña und Camille Corot erhalten. 7 Gerade die Kunst von Corot muss Gleichen-Rußwurm hoch geschätzt und intensiv studiert haben. Ein Blatt 1 Vgl. Meier-Graefe 1904, S. 533; vgl. Nico Kirchberger: Ludwig von Gleichen-Russ- wurm. »Der erste deutsche Impressionist«. In: Ausst.-Kat. Würzburg 2016, S. 114–116. 2 Der Terminus ›Impressionismus‹ wurde durch einen sarkastisch überzeichneten Artikel von Louis Leroy in Le Charivari (25. April 1874) eingeführt; siehe Nico Kirchberger: Impressionismus in Schwarz- weiß. Ein reizvoller Versuch. In: Ausst.- Kat. Würzburg 2016, S. 9–15, bes. S. 9. 3 Im Endeffekt betont dieser Ausdruck sogar die handwerkliche Arbeit des Stechers. 4 Théophile Gautier: Un Mot sur l’eau-forte: In: Société des Aqua-Fortistes, Eaux-Fortes modernes, originales et inédites. Paris 1862–1863, o. S. 5 Dazu zählt etwa die Cliché-verre-Technik, ein Verfahren, das zwischen der Druckgra- phik und der Fotografie anzusiedeln ist. Vgl. Norbert Suhr: Souvenir, Effet und Impres- sion: In: Ausst.-Kat. Würzburg 2016, S. 17–33, bes. S. 28. 6 Vgl. Ziegler 2010 b, S. 225 –231. 7 Von Corot befindet sich in diesem Konvo- lut die Radierung Soleil Couchant , gesto- chen von Théophile Chauvel, veröffentlicht in: L’art illustrée 1 (1875), nach S. 274.

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