Leseprobe

Anhang — 233 Hans Peter Feddersen 4 an Ludwig von Gleichen-Rußwurm, [Frühjahr 1901 5 ] DLA Marbach A: Schiller, Friedrich 47785, unfol. Kleister Koog bei Niebüll Hochverehrter und darf ich auch sagen »lieber Herr v. Gleichen?« Wenn ich Ihrer sehr gütigen und freundlichen Weise mir gegenüber gedenke, ja, dann darf ich Sie auch so anreden. Ich war ganz glücklich, als ich Sie in vorigem Herbst unerwartet unvermuthet auf der Straße in W[eima] r traf, und dies Glücksgefühl wurde stark erhöht, durch Ihre gütige Zusage mir etwas Gemaltes von Ihnen schenken zu wollen, ganz stolz aber wurde ich, als Sie mir erlaubten, auch Ihnen etwas von mir schicken zu dürfen. Und dieser thörichte Stolz hat es bis jetzt verhindert, Ihnen meine Adresse zu senden (eben deshalb thöricht) damit ich in Besitz des so fest begehrten, und mir in meinem »Abseits« so dringend nöthigen Werks Ihrer Hand komme. Ich hoffte nämlich immer, daß etwas bei mir entste- hen möge, was ich Ihnen schicken könnte, ohne mich allzu sehr schämen zu müssen und jedes mal, wenn ich dran war, abzuschicken, sagte ich mir, »was soll er damit, er der so viel kann u[nd] hat«. Jetzt will ich aber unter diesem Stolz nicht länger leiden und Ihnen meine Adresse »Kleister-Koog bei Niebüll, Schlesw. Holstein« mittheilen. Ich habe noch alljährlich das Glück gehabt, in Berlin, Dresden und im vorigen Jahr in der »Ständigen« Weimars etwas von Ihrer prachtvollen Malerei zu sehen. Wo und in wie zahlreicher Umgebung man Ihren Werken auch begegnet und wie versiert man auch durch das Ansehen der Tausende wird, immer wird man bei einem »Gleichen-Russwurm« aufgerüttelt, frisch, sieht wieder, genießt wieder. – Wie sind Sie, lieber Herr v. Gleichen, sich so gleich geblieben und wie ausgiebig haben Sie sich entwickelt, wie kraftvoll und stark sind Sie geworden! Wenn ich Ihre Bilder sehe oder an sie denke, suche ich oft nach dem bezeichnendsten Ausdruck für sie, u[nd] wissen Sie welche Bezeichnung sich immer wieder aufdrängt? »prachtvoll, wonnevoll«. Es überkommt mich ein solches Frohgefühl, eine solche Lebenslust, wenn ich Ihre Bilder ansehe, und dieß Gefühl ist ganz unabhängig davon, daß ich Sie persönlich als sympathischen verehrungswürdigen Menschen kennen lernte, auch ohne den Vorzug Ihrer persönlichen Bekanntschaft würde das Gefühl dasselbe sein. Ich habe so viele gute Bekannte, die hervorragende Künstler sind und eben solche Bilder malen, die mich sehr interessieren und von denen ich lerne u. s.w., aber ich kann sie ruhig ansehen, kann sie zergliedern, mich wundern über Tun u[nd] Technick, aber ich jubele nicht, schöpfe nicht mit Lebenskraft und Mallust, wie bei Ihren Bildern. Wir sehen uns so selten verehrter Herr von Gleichen u[nd] da ist es mir Bedürfniß und Wohlthat, es Ihnen mal aussprechen zu dürfen, was ich Ihnen verdanke, wie sehr ich Sie verehre u[nd] liebe als Künstler u[nd] wie ich in dem Künstler eigentlich erst den Menschen kennen zu lernen meine. Ich bilde mir ein, daß Ihr Einfluß auf mich insofern ein so glücklicher war, als er, trotz seiner Stärke, mich nie ein Arbeiten à la Gleichen versuchen ließ. Man sucht ja selbstverständlich mög- lichst a la sich selbst zu malen, aber manchmal ertappt man sich doch auf Äußerlichkeiten, die an irgend Jemand gemahnen. So sehr Sie mir nun in meinem Streben fördernd u[nd] anregend gegen- wärtig sind, sage ich mir doch unwillkürlich »so wie Gleichen malen, kann nur Gleichen«, ein Nachahmen wäre hier erst recht thöricht. Ich habe gelesen, daß Sie im Laufe des Winters in Berlin 6 eine Collection ausstellten, die Menschen beneidet, die diese sehen konnten und trotz scheinbar günstiger Kritiken, mich gewundert, wie wenig man Sie richtig erfaßt, empfindet und würdigt. Im Verlaufe des Herbstes komme ich vielleicht wieder durch Weimar, wenn Sie wollen, lege ich Ihnen dann mehrere meiner Arbeiten vor, damit Sie wenigstens auswählen können. Mein Vertrauen auf Ihre große Nachsicht und Güte, die ich Jahre lang in W[eima]r kennen zu lernen Gelegenheit hatte, 7 ließen diesen Brief so lang, zu lang werden. Ich bin u[nd] bleibe der Sie hoch­ verehrende Hans P. Feddersen. 4 Hans Peter Feddersen (1848–1941) war ein norddeutscher Maler; er studierte von 1871 bis 1877 an der Weimarer Kunstschule bei Theodor Hagen. 5 Wegen der erwähnten Retrospektive Gleichen-Rußwurms bei Cassirer, die im Januar 1901 endete, ist der Brief auf das Frühjahr 1901 zu datieren. 6 Retrospektive von Freiherr Ludwig von Gleichen-Rußwurm, Galerie Bruno und Paul Cassirer, Berlin, 11. Dezember 1900 bis ca. 18. Januar 1901. Siehe das Verzeichnis der Ausstellungen und Ausstellungsbetei­ ligungen. 7 Feddersen bezieht sich hier auf die gemeinsame Studienzeit an der Weimarer Kunstschule, da Gleichen-Rußwurm von 1871 bis 1875 auch Schüler bei Theodor Hagen war. Zu Beginn teilten sich beide ein gemeinsames Atelier.

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