Leseprobe

In der politisch spannungsgeladenen Zeit während der Französischen Revolution brach Johann Erd- mann Hummel Ende des Jahres 1792 von Kassel aus nach Rom auf.1 Landgraf Wilhelm IX. von Hes- sen-Kassel hatte dem 23-jährigen Absolventen der Kasseler Akademie ein Reisestipendium in Höhe von 200 Reichstalern gewährt, um für zunächst drei Jahre seine Ausbildung durch das Studium der vorbildlichen antiken Kunst zu vervollkommnen.2 Der Drang, Rom aus eigener Anschauung kennenzulernen, verstärkte sich in der Zeit der Aufklärung nochmals.3 Befreit von der Fremdbe- stimmung durch strenge akademische oder landes­ herrschaftliche Vorgaben, abseits gesellschaftlicher Zwänge und Standeskonventionen entwickelte sich die Ewige Stadt für viele deutsche Künstler zu einem inspirierenden Ort künstlerischen, intellek­ tuellen und freundschaftlichen Austauschs. Am Ziel ihrer Sehnsucht schlossen sie sich zu einer engen Gemeinschaft zusammen, für die der Kunsttheore- tiker und Jakobiner Carl Ludwig Fernow das Ideal der »römischen Künstlerrepublik«4 beschworen hat. Gelehrte, Literaten und Bildungsreisende unterschiedlichen Standes tauschten sich mit den Künstlern aus, deren Bildung sich Fernow ver­ schrieben hatte. Zu diesem Zweck gründete er in Rom die Gemeinschaftliche Lesebibliothek der Deutschen, »um die dem Künstler unentbehrlichen Bücher, die Uebersetzungen alter Classiker, neuere Dichter und andere Bücher allmählig anzuschaf- fen.«5 Den 25 eingetragenen und ihren Obolus verrichtenden Lesern, darunter auch Hummel, wurden zusätzlich aktuelle Zeitschriften wie Der Neue Teutsche Merkur in Umlauf gegeben. Über das bloße Handwerk hinaus gehörten für Fernow zum Gelingen eines Kunstwerks neben einer umfassenden Bildung unabdingbar auch the- oretische Durchdringung und Reflexion. Im Winter 1795/1796 bot er deshalb zweimal wöchentlich in der Villa Malta gegen Entgelt gut besuchte »Vorle- sungen über Ästhetik nach Kantischen Prinzipien«6 an. Als praktische Übung ermöglichte eine Privat- akademie unter dem Vorstand des Landschaftsma- lers Johann Christian Reinhart den Künstlern in den Wintermonaten 1796/1797 und 1797/1798 zudem gemeinsames Aktzeichnen7. All diese Bildungsan­ gebote scheint Hummel wahrgenommen zu haben. Allein dadurch stand er in regelmäßigem Austausch mit der deutsch-römischen Künstlergemeinschaft. Infolge des napoleonischen Italienfeldzugs spitzte sich die politische Situation in Rom ab März 1796 zu. Die Touristen blieben aus und mit ihnen die Verdienstmöglichkeiten vieler Künstler. Wer über kein Stipendium oder andere Einnahmequel- len verfügte, litt große wirtschaftliche Not. Auch bei den Stipendiaten trafen häufig die Zahlungen erst verspätet ein oder blieben ganz aus, da die Postwege unsicher wurden. Wann Hummel genau in Rom eintraf, ist unbe- kannt. Überhaupt sind bislang kaum unmittelbare schriftliche Quellen zu seinem Aufenthalt in Rom nachweisbar. Aufschluss über diese wichtige Lebensphase bieten allerdings die Zeugnisse ande- rer Künstler, allen voran die 1829 erstmals publizier- ten Denkwürdigkeiten aus seinem Leben 8 des Karls- ruher Architekten Friedrich Weinbrenner sowie der bislang unveröffentlichte Briefwechsel des ange- henden Kasseler Baumeisters Charles Louis Du Ry mit seinem Vater Simon Louis, zu dem auch zwei Briefe Hummels aus Rom gehören.9 Der Austausch, den Hummel in Rom pflegte, und die Freundschaf- ten, die er dort schloss, vermittelten ihm nicht nur in künstlerischer Hinsicht entscheidende Anregun- gen, sondern erwiesen sich weit über seine römi- sche Zeit hinaus als ein tragfähiges freundschaftli- ches Netzwerk. FRIEDRICH WEINBRENNER UND SEIN KREIS Die erste Anlaufstelle für Hummel in Rom wird sein Landsmann, der Bildhauer und spätere Stukka- teur Johann Conrad Wolff, gewesen sein, der sich 1791 auf eigene Faust nach Rom begeben hatte, wo er zunächst im Atelier von Alexander Trippel unterkam.10 Wolff könnte Hummel auch die erste

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