Leseprobe

q 12  Boris Papandopulos war 1971 im Kairoer Symphonieorchester vermutlich nicht der einzige Musi- ker eines sozialistischen Staates aus Europa. Seinen Anweisungen im Orchestergraben folgten neben ägyptischen Musikern wahrscheinlich auch Künstler aus der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik 7 , die – ähnlich wie im jugoslawischen Beispiel – zu guten zwischenstaatlichen Beziehungen mit Ägypten beizutragen hatten. 8 Entsandt hatte sie jedoch keine Prager Behörde, sondern das Kulturministerium der Slowakischen Sozialistischen Republik (SSR) 9 in Bratislava. 10 Zu diesem Zeitpunkt waren die slowakischen Bemühungen in Ägypten umfangreich. Parallel zu den Engagements der Orchestermusiker führte 1970 eine Delegation aus Bratislava erste direkte Gespräche mit dem ägyptischen Kulturministerium über zukünftige gemeinsame Projekte. Die Dele- gation war hochrangig besetzt. Zu ihren Mitgliedern zählten Ladislav Mokrý, der Direktor der slowa- kischen Philharmonie, Tibor Frešo, der Direktor des Slowakischen Nationaltheaters, und Alexander Moyzes, ein bekannter zeitgenössischer Komponist aus der Slowakei. 11 Zusätzlich nahm Tibor Frešo ein Engagement in Kairo an und dirigierte, wie der Kroate Papandopulo, während der Spielzeit 1970/71 das Kairoer Symphonieorchester. 12 Ein solches Aufeinandertreffen von slowakischen und kroatischen Künstlern außerhalb Europas, wie aus dem Jahr 1971 in Kairo geschildert, war in den 1970er-Jahren nichts Ungewöhnliches. Sowohl die kroatische als auch die slowakische Republik haben in dieser Zeit zunehmend Programme für außereuropäische Regionen, insbesondere in Afrika und Asien, aufgesetzt. Das ist erstaunlich, agierten sie doch zu diesem Zeitpunkt als substaatliche Einheiten von sozialistischen Bundesstaaten, die Slowa- kei von 1945–1992 als Teil der Tschechoslowakei, Kroatien von 1945–1991 als eine von sechs Teilrepu- bliken Jugoslawiens. In bisherigen Forschungen wurden den föderativen Strukturen in beiden Staaten lediglich eine innenpolitische Bedeutung beigemessen. Die geschilderte Arbeitsteilung zwischen Glied- und Bundesstaaten im Partnerland Ägypten verweist jedoch auf weitreichende Kompetenzen der Slowakei und Kroatien in außenpolitischen Belangen. Das vorliegende Buch untersucht die Kulturpoli- tik der slowakischen und kroatischen Teilrepubliken in Afrika und Asien zum ersten Mal genauer. Die kroatische Kommission für Kulturbeziehungen war in Ägypten besonders aktiv. Das gesamte Ensemble des kroatischen Nationaltheaters reiste im Herbst 1971 nach Kairo, um dort gemeinsammit dem ägyptischen Symphonieorchester Guiseppe Verdis Oper »Aida« zu inszenieren. Das Gastspiel war zwar kostspielig, versprach aber ein Kulturevent von großer Symbolkraft zu werden. Denn die Liebesgeschichte zwischen der äthiopischen Königstochter Aida und dem ägyptischen Heerführer 7 Slowakisch/Tschechisch: Československá Socialistická Republika (ČSSR). 8 In den slowakischen und tschechoslowakischen Quellen ist ein direktes Aufeinandertreffen zwischen den eigenen Musikern und dem kroatischen Dirigenten nicht vermerkt. Nachgewiesen ist, dass während der gesamten Spielzeit 1971 sowohl slowakische als auch tschechische Musiker am Kairoer Symphonieorchester engagiert waren. Vgl. AMZV, PK (porady kolegia, dt. Versammlungen des Kollegiums des Föderalen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Tschechoslowakei )/ Nr. 041/73. 9 Slowakisch: Slovenská socialistická republika (SSR). 10 Vgl. AMZV, PK, Nr. 041/73. 11 Vgl. AMZV, TO (territoriální odbor, dt. Regionalabteilung bzw. Auslandsvertretungen des Föderalen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Tschechoslowakei) / Nr. 07/72. 12 Vgl. AMZV, TO, Nr. 015/70.

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