Leseprobe
q 46 Unter Druck der BdKJ in den 1960er-Jahren die Unabhängigkeit vom östlichen Lager längst zu einem Grundprin- zip seiner Politik erhoben. Die Schwierigkeiten in Jugoslawien waren anderen Ursprungs. Ausgehend von einer schwerwiegenden Wirtschaftskrise kam es in dem südosteuropäischen Land ab Mitte der 1960er-Jahre zu Diskussionen um ökonomische und staatliche Reformen. Die Debatten wurden innerhalb wie außerhalb des Bundes der Kommunisten zunehmend mit nationalen Argumenten geführt. Sie kulminierten in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre in nationalistische Proteste, unter anderem in der kroatischen Teilrepublik, die die Staatsidee der »Brüderlichkeit und Einheit« unter den Völkern Jugoslawiens erodieren ließen. 7 Die Krisen im Inneren beeinträchtigten die internationale Politik beider Staaten in den 1970ern maßgeblich, zwei Entwicklungen sind dabei zentral. Zunächst gewann die Außenpolitik sowohl für den BdKJ als auch für die KPČ in dieser innenpolitisch geschwächten Position weiter an Bedeutung. Sie sollte dazu beitragen, die Legitimität der kommunistischen Herrschaft in der eigenen Gesellschaft zu stärken. Die tschechoslowakische Außenpolitik war in Folge dieser Entwicklungen zudem darauf ausgerichtet, das verloren gegangene Vertrauen im sowjetischen Lager zurückzugewinnen. Damit wollten die Parteifunktionäre den Status eines anerkannten und gleichberechtigten Partners im eigenen Bündnis zurückerlangen. Priorität hatten hierbei nicht nur die direkten Beziehungen zur Sowjetunion und ihren Verbündeten, auch die sowjetischen Ziele in Afrika und Asien unterstützte die ČSSR massiv. Zusätzlich wurde die Außenpolitik im Zuge der Föderalisierung in beiden Staaten deutlich stärker von den Teilrepubliken mitbestimmt. Denn sowohl in der Tschechoslowakei als auch in Jugoslawien hatten die innenpolitischen Entwicklungen, so unterschiedlich sie waren, eine nationale Dimension. Die stärkere Beteiligung der Teilrepubliken wurde zu Beginn der 1970er-Jahre ein politischer Faktor, auf den die jeweilige Parteiführung eingehen musste. Die Verteilung von Ämtern und Aufgaben zwischen den Teilrepubliken bedeutete insbesondere im tschechoslowakischen Fall eine tiefgreifende Veränderung in der Außenpolitik, wie das Beispiel des diplomatischen Dienstes zeigen wird. Die außenpolitische Orientierung der SFRJ war bereits vor den Krisenjahren von unterschiedlichen inter- nationalen Orientierungen einzelner Teilrepubliken und Nationalitäten mitgeprägt, diese Tendenz verstärkte sich jedoch in den 1970ern. Die hier angedeuteten innen- und außenpolitischen Entwicklungen werden im Folgenden näher erläutert, können jedoch nicht in Gänze dargestellt werden. Vielmehr werden die Ereignisse und Zusammenhänge in beiden Vergleichsfällen herausgestellt, die für die auswärtige Kulturpolitik Jugo- slawiens und der Tschechoslowakei entscheidend waren. Rückgriffe auf die 1950er- und 1960er-Jahre sind dabei unvermeidbar, denn die Anfänge der innenpolitischen Krise sowie der Dritte-Welt-Politik beider Staaten sind weit vor den 1970ern zu finden. 7 Vgl. Halder, Marc: Der Titokult. Charismatische Herrschaft im sozialistischen Jugoslawien. München 2013, 119.
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