Leseprobe

q 48 Unter Druck Restauration des bürokratischen Sozialismus und seiner zentraladministrativen Planwirtschaft, wo nötig mit der Schützenhilfe der »sozialistischen Bruderländer« und durch verschärfte Repression; Ruhigstellung einer tief desillusionierten Bevölkerung durch Sozialleistungen und Konsum. 11 Die militärische Intervention des Warschauer Paktes und die daran anschließende »Normali- sierung« gingen einher mit massiven personellen Säuberungen, die in verschiedenen Phasen ab August 1968 Parteiorganisationen, Betriebe, Verwaltungen und nicht zuletzt Kultureinrichtungen getroffen haben. Diese Entwicklungen nach dem Scheitern des Prager Frühlings prägten die Tschechoslowakei in den folgenden zwei Jahrzehnten bis zum Herbst 1989. 12 Viele einstige Unterstützer der Reformen, wie der Staatspräsident Ludvík Svoboda oder der spätere Ministerpräsident der Föderation, Lubomír Štrougal, vertraten nun das Normalisierungsregime. Gustáv Husák, der seit 1969 neuer Generalse- kretär der Partei war und ab 1975, nach dem Tod Ludvík Svobodas, auch das Amt des Staatspräsi- denten übernommen hatte, zählte noch vor dem August 1968 zu den slowakischen Befürwortern des Reformprogramms. 13 In den 1970er- und 1980er-Jahren stand sein Name jedoch viel stärker für die restaurative Politik im Land. Ein Argument der Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes, die sich für die Invasion aussprachen, war die befürchtete Abkehr der KPČ vom Kommunismus und von der gemeinsamen Bündnispolitik. 14 Dabei hatte sich die Außenpolitik mit dem Wechsel an der Spitze der KPČ, von Antonín Novotný zu Alexander Dubček, im Januar 1968 nicht grundlegend geändert. Die neue Parteiführung stellte nicht die internationale Positionierung des Landes infrage, wie es beispielsweise die kommunistische Füh- rung unter Imre Nagy während des Aufstandes in Ungarn im Jahr 1956 getan hatte. 15 Vielmehr setzte der neue Generalsekretär Alexander Dubček auf innenpolitische Reformen, die er unter dem Leitsatz »Kommunismus mit menschlichem Antlitz« zusammenfasste. 16 Mit dem verabschiedeten Aktionspro- gramm plante das Plenum der KPČ im April 1968 weitreichende Reformen. Darin verzichtete die Partei weitgehend auf das eigene Machtmonopol und beschloss eine Föderalisierung des Staates. 17 11 Boyer, Christoph: Normalisierung. In: Bohemia 47 (2006/07) H. 2, 348–360, hier 348. 12 In der Regel wird der Begriff für den Zeitraum zwischen dem 21. August 1968 und dem Ende der sozialistischen Herrschaft im Herbst 1989 verwendet. Wenngleich diese zwei Jahrzehnte in der Tschechoslowakei durch unterschied­ liche Phasen und Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gezeichnet waren. Einen Überblick gibt Boyer, Normalisierung, 348–360. 13 Vgl. Williams, The Prague spring and its aftermath, 39–51. 14 Nicht alle Mitglieder des Warschauer Paktes waren für die Intervention in der Tschechoslowakei. Kurz nach der Militäraktion erklärte Albanien am 13. September 1968 seinen Austritt aus demWarschauer Pakt. Die kommunistische Führung des Landes mit Enver Hoxha an ihrer Spitze hatte sich bereits seit 1961 von dem Bündnis distanziert. Rumä­ nien blieb zwar Mitglied, nahm aber zunehmend eine Sonderrolle im Bündnis ein. Vgl. Umbach, Frank: Das rote Bünd­ nis. Entwicklung und Zerfall des Warschauer Paktes 1955 bis 1991. Berlin 2005, 193–198. 15 Vgl. Priestland, Weltgeschichte des Kommunismus, 408. 16 Vgl. Karner et al., Der »Prager Frühling« und seine Niederwerfung, 21. Vgl. auch: Tůma, Oldřich: Die Dubček-Ära. In: Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968. Beiträge. Hg. v. Stefan Karner/Natalja G. Tomilina et al. Köln 2008, 81–93, hier 88–89. 17 Vgl. Gilde, Benjamin: Österreich im KSZE-Prozess 1969–1983. Neutraler Vermittler in humanitärer Mission. Mün­ chen 2013, 47–50.

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