Leseprobe
Die innenpolitischen Krisen 49 q Während der Reformmonate 1968 griffen slowakische Kommunisten frühere Forderungen auf, die Mitsprache des eigenen Landesteils im Gesamtstaat zu vergrößern und die Autonomie zu stär- ken. 18 Noch vor 1968 hatten Teile der Kommunistischen Partei der Slowakei 19 den unsensiblen Umgang des Generalsekretärs Antonín Novotný mit den slowakischen Angelegenheiten bemängelt. Mit der neuen Parteiführung unter Alexander Dubček, der selbst zuvor erster Sekretär in Bratislava war, erhielt die Föderalismusidee eine stärkere Aufmerksamkeit und wurde als ein zentraler Punkt in das April-Programm aufgenommen. 20 Als einziges Vorhaben der Reformer wurde der Staatsumbau trotz der Intervention des Warschauer Paktes umgesetzt, und zwar aus einem politischen Kalkül heraus. Die sowjetischen Kommunisten und die Reformgegner innerhalb der KPČ hatten ein größeres Ver- trauen in die Slowakische Kommunistische Partei als in die tschechische, denn in der tschechischen Partei und im tschechischen Landesteil glaubten sie die Quelle des tschechoslowakischen Reform- kommunismus auszumachen. 21 Dass dieses Argument zumindest vage war, zeigt sich an der Person, die weltweit zur Symbolfigur des Prager Frühlings wurde. Alexander Dubček war selbst Slowake und hatte sich bereits als erster Sekretär der slowakischen Parteiorganisation vor dem Januar 1968 für Reformen des sozialistischen Systems eingesetzt. 22 Ab dem 1. Januar 1969 gliederte sich die zuvor zentralstaatlich organisierte ČSSR in zwei eigen- ständige Republiken, die Tschechische und die Slowakische Sozialistische Republik. Die Souveränität der beiden Gliedstaaten wurde durch eigene Verfassungsinstitutionen, Amtsträger und Zuständig- keiten gewahrt. Die beiden nationalen Parlamente, der tschechische und slowakische Nationalrat 23 , 18 Nicht zuletzt war Alexander Dubček selbst Mitglied in der Kommunistischen Partei der Slowakei und hat wie an dere Parteifunktionäre aus Bratislava die Rehabilitierung der slowakischen Kommunisten gefordert, die während der 1950er in politischen Prozessen als »nationale Bourgeoise« angeklagt und verurteilt worden sind. Vgl. Sikora, Stanis lav: Rok 1968 a politický vývoj na Slovensku, 20–30. Vgl. auch: Londák, Miroslav: Zmeny vo vedení Komunistickej stra ny Slovenska v prvej polovici 60. Rokov minulého storočia [Änderung in der Führung der Kommunistischen Partei der Slowakei in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts]. In: Z dejín demokratických a totalitných režimov. Na Slovensku a v Československu v 20. Storočí. Historik Ivan Kamenec 70-ročný [Aus der Geschichte demo kratischer und totalitärer Regime. In der Slowakei und in der Tschechoslowakei im 20. Jh. Zum 70. Geburtstag des His torikers Ivan Kamenec]. Hg. v. Edita Ivaničková. Bratislava 2008, 299–330. 19 Slowakisch: Komunistická strana Slovenska (KSS). 20 Vgl. Tůma, Die Dubček-Ära, 85–86. 21 Vgl. Dejmek, Jindřich: Diplomacie Československa. Díl I. Nástin dĕjin ministerstva zahraničních vĕcí a diplo macie (1918–1992) [Die Dilomatie der Tschechoslowakei. Teil 1. Entstehungsgeschichte des Ministeriums für Auswär tige Angelegenheiten und Diplomatie (1918–1992)]. Praha 2012, 203. 22 Diese Argumentation vertrat beispielsweise die DDR-Führung und zog daraus außenpolitische Konsequenzen. Noch vor der Intervention im August 1968, als das Misstrauen gegenüber der Prager Parteiführung bereits groß war, kamen die deutschen Kommunisten unter Walter Ulbricht zu dem Schluss, dass die slowakische Seite innerhalb der ČSSR gestärkt werden müsse. Deshalb baute die SED in dieser Zeit direkte Beziehungen zur Slowakischen Kommunis tischen Partei auf. Zuvor hatte die Prager Parteizentrale den internationalen Austausch koordiniert. Dabei änderte die SED auch ihre Strategie in den Kulturbeziehungen. 1969 eröffnete in Bratislava ein DDR-Kulturzentrum. Mit diesen Plänen setzte sich die deutsche Seite gegen das tschechoslowakische Außenministerium durch. Dieses hatte das Vor haben aus Ostberlin, direkte Kulturbeziehungen zwischen der DDR und dem slowakischen Landesteil aufzubauen, bis zum August 1968 kritisiert. Vgl. Zimmermann, Volker: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. Die Beziehungen zwischen der SBZ/DDR und der Tschechoslowakei (1945–1969). Essen 2010, 451. 23 Slowakisch: Česká národná rada, Slovenská národná rada , vgl. Verfassungsgesetz über die tschechoslowakische Föderation. Slowakisch: Ústavný zákon z 27. 10. 1968 o československej federácii. Nr. 143/1968. Online: www.zakonyprelu di.sk/zz/1968-143 (12.2.2018).
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