Leseprobe

»Globalisierung sozialistisch« 63 q hatte seit Mitte der 1950er-Jahre begonnen, die jungen unabhängigen Staaten sowie die Befreiungs- bewegungen in den Kolonien in Afrika und Asien durch massive Wirtschafts- und Militärhilfen zu unterstützen. Das Ziel war es, mit ihnen neue politische und ideologische Partner zu gewinnen. 95 Dies passierte in einer Phase der Dekolonisation, in der vorrangig afrikanische Staaten die Kriege gegen die europäischen Kolonialmächte gewannen. Allein 1960 erklärten siebzehn afrikanische Staa- ten ihre Souveränität, unter ihnen Senegal, Republik Kongo, Mali und Nigeria. Bis Mitte der 1950er- Jahre waren es vor allem süd- und südostasiatische sowie arabische Staaten, die ihre Unabhängigkeit erreicht hatten. Chruschtschow intensivierte das Engagement, da er die Staaten als »strategische Reserve des Imperialismus« verstand und somit auch außerhalb Europas eine wachsende Konkurrenz mit den USA befürchtete. 96 Vorrang hatten für ihn diplomatische und staatliche Beziehungen gegen- über den Kontakten zu dortigen kommunistischen Parteien, die teilweise bereits seit der Zwischen- kriegszeit bestanden haben. 97 Insofern waren die diplomatischen Verbindungen, die das Prager Außenministerium in eine Vielzahl der neuen Staaten aufgebaut hatte, ein wichtiger Bestandteil in der Strategie der Sowjetunion gegenüber Entwicklungsländern. Vor diesem Hintergrund baute die Tschechoslowakei ihr Engagement immilitärischen, diploma- tischen und zivilen Sektor aus. 98 Die Kooperationen immilitärischen Sektor schlossen sowohl Waffen- lieferungen an Unabhängigkeitsbewegungen und postkoloniale Staaten als auch die Ausbildung von Soldaten vor Ort ein. Militärberater und Lehrkräfte aus der ČSSR arbeiteten in Ägypten, Syrien sowie im Irak und bauten die dortigen Militärakademien mit auf. Nach den ersten Waffenlieferungen im Jahr 1955 an Ägypten wurde das Engagement sukzessiv ausgebaut und auf weitere arabische Staaten ausgedehnt. 99 Bereits wenig später, Ende der 1950er-Jahre, waren Mitarbeiter der Militärakademie 95 Erst mit demMachtwechsel an der Spitze der KPdSU 1953 nahm das Interesse an den Ex-Kolonien und den Unab­ hängigkeitsbewegungen in Afrika und Asien zu. Noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beharrte Stalin haupt­ sächlich auf einer auf Europa ausgerichteten Außenpolitik, deshalb kennzeichnete die frühe Phase der Dekolonisation nach 1945 eine sowjetische Zurückhaltung. Kontakte zu kommunistischen Parteien in Kolonialgebiete reichten jedoch bis in die frühen 1920er-Jahre zurück. ImRahmen der Komintern, die ihren Sitz in Moskau hatte, bildeten sie mit indi­ schen, chinesischen und indonesischen Parteivertretern eigene Sektionen. Das führte jedoch vor dem Zweiten Welt­ krieg nicht zu einer vorbehaltlosen sowjetischen Unterstützung der Revolution, wie sie beispielsweise die KP in China verfolgte, vielmehr waren auch Exil-Kommunisten und Parteiführer aus diesen Ländern Opfer der stalinistischen Säu­ berungen. Vgl. Boden, Ragna: Jakarta, 1965: Zur Rolle kommunistischer Parteien in der Dritten Welt. In: Die Sowjet­ union und die Dritte Welt. Hg. v. Andreas Hilger. München 2009, 121–143, hier 125–126. Vgl. auch: Bradley, Decoloniza­ tion, the global South, and the Cold War, 464–486. 96 Vgl. Katzer, Nikolaus: Ideologie und Pragmatismus in der sowjetischen Außenpolitik. In: Aus Politik und Zeitge­ schichte (2009) H. 1–2, 3–10, hier 5. 97 Vgl. Boden, Jakarta, 1965, 135. 98 Mit diesem Engagement in der Dritten Welt ging auch eine stärkere Berichterstattung über die Ereignisse in Afri­ ka und Asien einher. Dabei zeigte die staatliche Propaganda nicht nur vorrangig die »Helden« des afrikanischen Sozia­ lismus wie Patrice Lumumba, sondern griff selbst auf Stereotype über »Schwarze« und »Araber« zurück. Beispielswei­ se fanden sich in den Berichten über die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen vielfach Vorstellungen von den »noblen Wilden«, die für ihre Freiheit unerbittlich kämpften. Vgl. Zavacká, Marina: Picturing »the World Abroad«: Of­ ficial Domestic Propaganda in Czechoslovakia 1956–1962. In: Osteuropa vom Weltkrieg zur Wende. Hg. v. Wolfgang Mueller/Michael Portmann. Wien 2007, 209–219, hier 213–214. 99 In dieser ersten Phase passte die KPČ-Führung ihre Dritte-Welt-Politik den sowjetischen Zielen an. Beispielsweise protegierte die Tschechoslowakei noch bis in die 1950er-Jahre Israel. Dann wurde jedoch die antiisraelische Politik der KPdSU maßgebend und die als »progressiv« eingeschätzten arabischen Staaten wurden unterstützt. Petr Zídek und Karel Sieber verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass die neue antiisraelische Haltung der tschechoslowaki­

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