Leseprobe
q 66 Unter Druck hatte erhebliche Folgen für die Sowjetunion und ihre Verbündeten. Beispielsweise konnte China an der Konferenz von Bandung 1955 teilnehmen, auf der sich eine Vielzahl von afroasiatischen Staaten das erste Mal unter Ausschluss der zwei Großmächte traf; während die Sowjetunion dort erstmalig als Teil des Problems und explizit als europäische Macht bezeichnet wurde. 109 Zudem hat das eigene Vorgehen der Prager Politik häufig den selbst gesetzten ideologischen Vorsätzen widersprochen. Beispielsweise führten die bereits angesprochenen wirtschaftlichen Bezie- hungen zum Apartheitsregime in Südafrika zu heftiger Kritik von anderen wichtigen Partnerstaaten. Im Jahr 1964 bezeichnete es eine algerische Wochenzeitung als Skandal, dass die ČSSR in Südafrika Eisenerz kaufen sowie leichte Waffen an das Apartheitsregime verkaufen und damit die internatio- nale Ächtung des autoritären Regimes ignorieren würde. 110 Solche Nachrichten waren nicht zu unter- schätzen, verwiesen doch die tschechoslowakischen Kommunisten häufig genug selbst auf die Dop- pelmoral der anderen, in erster Linie auf die der USA und ihrer Verbündeten. Zudem zählte Algerien für die Tschechoslowakei zu einem wichtigen Partnerland in Nordafrika. Auch in späteren Jahren führten die Prager Rüstungsgeschäfte immer wieder zu politischen Verwicklungen. 1987 musste beispielsweise die Staatsführung unter internationalem Druck zugeben, Sprengstoff an Libyen expor- tiert zu haben. Es war der Plastiksprengstoff Semtex, den Libyen in großer Menge an die Irisch-Repu- blikanische Armee weitergegeben und mit dem die Organisation Terroranschläge in Irland umgesetzt hatte. 111 Durch diese Entwicklungen wurde es für die Tschechoslowakei immer schwieriger, sich als Vorbild für die Entwicklungsländer zu inszenieren. 112 Im Laufe der 1960er-Jahre korrigierte darüber hinaus die Prager Führung das Vorgehen in der Dritten Welt. Sie erkannte, dass das übergeordnete Ziel, die Partnerstaaten zum Kommunismus zu führen, nur in seltenen Fällen gelang. Hingegen band das weltweite Engagement viele Ressourcen. Die wachsenden eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten trugen dazu bei, dass die tschechoslowa- kischen Parteiführungen, erst mit Antonín Novotny und später mit Alexander Dubček als General- sekretär, das eigene Vorgehen schrittweise anpassten. 113 Ab etwa 1965 setzte sich deshalb eine prag- matischere Einschätzung der Lage sowohl in der Partei als auch im Außenministerium durch. Zwar hielten beide Akteure an dem ideologischen Anspruch fest. In der außenpolitischen Praxis richteten sie das Vorgehen jedoch stärker an eigenen wirtschaftlichen und politischen Zielen aus als in den Jahren zuvor. 109 Vgl. Boden, Jakarta, 1965, 133–134. 110 Vgl. Zídek/Sieber: Československo a subsaharská Afrika v letech 1948–1989, 103. 111 Vgl. ebd . , 215–216. 112 Zudem sprach die eigene Politik nicht immer für das inszenierte Außenbild. Die Strategie scheiterte spätestens in Afghanistan, als die sowjetische Intervention, um ein moskautreues kommunistisches Regime einzusetzen, mehr und mehr zu einem Bürgerkrieg anwuchs und mehr als 1,2 Millionen Afghanen das Leben kosten sollte. Vgl. Chiari, Bernhard: Kabul, 1979. In: Die Sowjetunion und die Dritte Welt. Hg. v. Andreas Hilger. München 2009, 260. 113 Philip Muehlenbeck führt in seiner Studie über das tschechoslowakische Engagement in Afrika weitere Gründe an. Zum einen entschieden viele afrikanische Regierungen pragmatisch über die Partnerschaften mit den Ostblock staaten. Dazu trug auch bei, dass in den 1960er-Jahren die ersten afrikanischen Studierenden zurück aus der Tschecho slowakei in ihre Heimatländer kehrten und sich weit weniger begeistert von dem real existierenden Sozialismus zeig ten, als die KPČ erwartet hatte. Zum anderen waren die Regierungen in Guinea und Mali unzufrieden mit den »Aufbauhilfen« aus der Tschechoslowakei und entschieden sich für das lukrative Unterstützungsangebot aus den USA. Vgl. Muehlenbeck, Czechoslovakia in Africa, 158–176.
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