Leseprobe
»Globalisierung sozialistisch« 67 q Während der innenpolitischen Reformphase in der ersten Hälfte des Jahres 1968 hielt die neue Parteiführung an dem vielfältigen Engagement in Afrika und Asien fest. Unter der Führung Jiří Hájeks baute das Außenministerium die diplomatischen Beziehungen mit Staaten außerhalb Europas weiter aus und erweiterte den diplomatischen Korps erheblich um Fachpersonal, das sprachlich wie inhalt- lich auf diese vorbereitet war. 114 Auch im April-Programm hatten die Reformkommunisten keine grundlegende Veränderung der Politik gegenüber der Dritten Welt geplant. Eine etwas selbstbewuss- tere Haltung zeigte sich in der Ergänzung, die Beziehungen sollten nur im Rahmen der eigenen Möglichkeiten gestaltet werden. 115 Die Funktionäre um Alexander Dubček hatten jedoch mehr an den Meinungswandel in den Jahren zuvor angeknüpft, als dass es ein Kurswechsel bedeutete. In dieser Phase passte die KPČ auch die eigene ideologische Argumentation an die Tatsache an, dass nach der Unabhängigkeit der Kolonien in den meisten Fällen keine kommunistischen Revolu- tionen ausgebrochen sind. Die Partei hatte diese Entwicklung erwartet und erhofft, die jungen Staa- ten so schnell wie möglich in das »sozialistische Weltsystem« integrieren zu können. Nur in wenigen Fällen, wie beispielsweise in China, waren die kommunistischen Parteien die führenden Kräfte in den Unabhängigkeitskämpfen gewesen. In der Regel hatten kommunistische Organisationen nicht einmal eine Beteiligung an den ersten Regierungen der souveränen Staaten erreicht. An dem langfristigen Ziel eines sozialistischen Weltsystems wurde zwar weiter festgehalten, jedoch sprach die KPČ in Anlehnung an sowjetische Wortkreationen nun von »Staaten der nationalen Demokratie« oder »revo- lutionären Demokratien«. Der Definition folgend waren das Staaten, die noch keine kommunistische Revolution erlebt hatten, sich aber durch ihren Kampf gegen den Kolonialismus und Imperialismus auf dem Weg zum Sozialismus bewegen würden. In den 1950ern zählten zu dieser Gruppe Ägypten, Algerien, Indonesien, Ghana, Kongo (Brazzaville), Birma (jetzt Myanmar) und Mali. 116 In den 1960er- und 1970er-Jahren variierten die Zuordnungen der Staaten immer wieder. Häufig sprachen die tsche- choslowakischen Institutionen von einem antiimperialistischen Grundkonsens mit den Staaten, mit denen sie politisch oder wirtschaftlich gute Beziehungen hatten. Dies waren nur in seltenen Fällen Gesellschaften, die den Kommunismus sowjetischer Prägung übernommen hatten. 117 Ende der 1970er-Jahre bezeichnete das Prager Außenministerium die Demokratische Republik Afghanistan, die Volksrepublik Angola, das sozialistische Äthiopien, die Volksrepublik Mosambik und die Jemeni- tische Volksrepublik (Südjemen) als sozialistisch. Eine zweite bevorzugte Gruppe waren politische Systeme, die als sozialistisch orientiert galten. Dies waren im Verständnis der KPČ Staaten, deren politischer Kurs auf Unabhängigkeit ausgerichtet war, die antiimperialistisch eingestellt waren und die mit planwirtschaftlichen Elementen einen antikapitalistischen Kurs verfolgten. Hierzu zählten Syrien, Algerien, Libyen und der Irak. 118 114 Vgl. Dejmek, Diplomacie Československa, 192. 115 Vgl. Hájek, Jiří: Begegnungen und Zusammenstösse. Erinnerungen des ehemaligen tschechoslowakischen Außenministers. Freiburg i. B. 1987, 177. 116 Vgl. Boden, Jakarta, 1965, 134–135. 117 Vgl. Bradley, Decolonization, the global South, and the Cold War, 475. 118 Für die tschechoslowakischen Parteiführungen waren in der Regel die staatlichen Beziehungen und deren positive Entwicklung vorrangig. Dafür stellten sie Kontakte zu anderen Akteuren, auch zu den kommunistischen Parteien dieser Staaten, zurück. Für gute bilaterale Beziehungen, beispielsweise mit dem Irak oder Libyen, nahmen die
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