Leseprobe
q 164 Aktionsräume in Afrika und Asien Während die KPČ bis in die 1960er-Jahre am sozialistischen Realismus festhielt und den inter- nationalen Kunstaustausch auf sozialistische Staaten beschränkte, verfolgten die jugoslawischen Kommunisten seit 1948 eine unabhängige Kunstpolitik. Nach dem Bruch mit der Sowjetunion hatten sie sich von dem Kunstdogma der frühen Nachkriegsjahre verabschiedet. 239 Ab den 1950ern förderte der BdKJ sogar moderne Kunst und ließ den »abstrakten Stil« 240 zu, den er zuvor noch als westlich und dekadent angeprangert hatte. Die Kehrtwende in der Kunstpolitik wurde 1956 durch eine pres- tigeträchtige Kooperation mit dem New Yorker Museum of Modern Art unterstrichen. In Belgrad eröffnete die Ausstellung Contemporary Art in the USA , deren Werke das New Yorker Museum bereit- gestellt hatte. 241 Nach dem Bruch mit der Sowjetunion diente die Kunstpräsentation im Ausland dazu, Jugosla- wien als ein freies und unabhängiges Land hervorzuheben. Dabei ging es dem Bund der Kommunis- ten nicht allein darum, sich mittels künstlerischer Ausdrucksformen gegen den Ostblock abzugren- zen. Vielmehr sollte die »soft power« die neue Westpolitik der Staatsführung und die dadurch bezweckte Annäherung an die ehemaligen politischen Gegner begleiten. Die KPČ band sich hingegen weiter eng an die Sowjetunion. Das tat sie auch, indem sie künstlerische Traditionen aus der eigenen Kunstgeschichte hervorhob, die die slawische und prosowjetische Ausrichtung des Landes recht- fertigen sollten. 242 Sowohl in Jugoslawien als auch in der Tschechoslowakei ging die politische Indienstnahme von Kunst damit einher, dass neue Museen und Kunstakademien eingerichtet beziehungsweise ausge- baut wurden. In der jugoslawischen Hauptstadt eröffnete 1965 die Galerie für zeitgenössische Kunst. Diese war bewusst demMuseum of Modern Art in New York nachempfunden. 243 Indem der BdKJ das international renommierte Museum zum Vorbild für das neue Haus erhob, wurde der eigene Anspruch, die jugoslawische Kunst auf Weltniveau zu heben, unterstrichen. Ähnliche Entwicklungen, jedoch in geringerem Umfang, sind für die Tschechoslowakei zu beobachten. In beiden Hauptstädten entstanden 1948 eine tschechische und slowakische Nationalgalerie. 244 Ihr Auftrag war es, sowohl einheimische Werke aus vergangenen Jahrhunderten als auch zeitgenössische Kunst zu sammeln. 245 Die politische Indienstnahme von Kunst war in beiden Staaten keine kommunistische Erfindung. Bereits in den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts und in den ersten Staaten nach dem Ersten Weltkrieg diente Kunst dazu, eine nationale Identität herauszubilden. Davon zeugt nicht nur die 239 Marie-Janine Calic fügt dem hinzu, dass die zeitgenössische Kunst des Landes in dieser Phase der Neuorientie rung »ein Neben- und Miteinander von sozialistischem Realismus und westlicher Moderne« geboten hat. Vgl. Calic, Südosteuropa, 224–225. 240 »Abstrakte Kunst« ist die Bezeichnung für eine Richtung in der Malerei und Plastik, die eine gegenstandslose Darstellung wählt und auf die Nachahmung eines Naturvorbildes völlig verzichtet. Vgl. Jahn, Johannes/Leib, Stefanie: Wörterbuch der Kunst. Stichwort: »Abstrakte Kunst«. Stuttgart 2008, 3. 241 Vgl. Kulić, Vladimir/Mrduljaš, Maroje: Modernism In-Between. The Mediatory Architectures of Socialist Yugo slavia. Berlin 2012, 38–39. 242 Vgl. Knapík, Der Versuch, eine Quarantäne zu errichten, 95–96. 243 Vgl. Calic, Südosteuropa, 224–225. 244 Vgl. Vondrášek, Karel: Sowjetisches Kulturmodell und das tschechische Theater 1945–1968. Zum Spannungsver hältnis zwischen tschechoslowakischer Kulturpolitik und tschechischem Theater. Bochum 1999, 124–128. 245 Vgl. Bajcurová, Katarína: 60 rokov otvorené [60 Jahre geöffnet]. Bratislava 2008, 68–70.
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