Leseprobe
Die slowakische und die kroatische Teilrepublik haben nach der Föderalisierung ihrer Gesamtstaaten ein eigenes kulturelles Engagement in Ländern des globalen Südens aufgebaut. Wenngleich das nicht für den gesamten Zeitraum bis in die späten 1980er-Jahre festgestellt werden kann und zwischen beiden Vergleichsfällen erhebliche Unterschiede auszumachen sind. Die slowakische Seite war weit aktiver als die kroatische. Diese Ergebnisse bestätigen die erste zentrale Annahme, die der Analyse zugrunde lag. In den 1970ern haben Akteure aus Bratislava und Zagreb die Kulturpolitik der Tschechoslowakei respektive Jugoslawiens mitorganisiert und -gestaltet. Damit hatten sie direkten Einfluss auf die Programme und Inhalte, wählten die Ensembles und Künstler aus, die die Präsentation im Ausland ausgemacht haben, und schrieben die Konzepte, mit denen das Engagement langfristig geplant wurde. Verantwortlich dafür waren in erster Linie die Kulturministerien, die nach der Föderalisierung auf Ebene der Gliedstaaten aufgebaut worden sind. Zusätzlich arbeiteten kulturelle Mittlerorganisa- tionen, die zum Teil in den frühen 1970ern entstanden sind, an der Umsetzung mit. Der slowakische Anteil an der auswärtigen Kulturpolitik des Gesamtstaates hat sich in den 1970ern deutlich vergrößert. Das konnte in der Untersuchung anhand der Entsendungen, der Zahl der Veranstaltungen in der Kunst- und Musikdiplomatie sowie am Beispiel der slowakischen Musik- agentur Slovkoncert gezeigt werden. Teilweise überstieg der Anteil den Wert von dreißig Prozent, der als »slowakischer Faktor« bei der personellen Neubesetzung im föderalen Außenministerium nach 1968 entscheidend gewesen ist. Dies lässt den Schluss zu, dass die slowakische Seite nach 1969 rasch und gezielt in eigene außereuropäische Netzwerke investierte und es umfangreiche Bemühun- gen aus Bratislava gab, die Beziehungen nach Afrika und Asien längerfristig zu gestalten. Auch die kroatische Seite übernahm einen erheblichen Anteil in der kulturellen Repräsentation des Gesamtstaates. Denn nach der Dezentralisierung in Jugoslawien erfolgte die Aufgaben- und Kos- tenverteilung in der auswärtigen Kulturpolitik entsprechend der Wirtschaftskraft und der geographi- schen Größe des jeweiligen Landesteils. Etwa dreißig Prozent von der Finanzierung und von den Veranstaltungen übernahm die kroatische Seite. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass das Engagement der Akteure aus Zagreb in der Dritten Welt – trotz der zunehmenden Autonomie in inter- nationalen Belangen – im Vergleich zu der Situation vor dem Staatsumbau deutlich angestiegen ist. Die Aktivitäten aus den zwei sozialistischen Teilrepubliken sind in den 1970ern in verschiedene aktive und weniger aktive Phasen einzuteilen, die auf die innen- wie außenpolitischen Entwicklungen zurückzuführen sind. Die slowakische Teilrepublik hatte zu Beginn bis in die zweite Hälfte der 1970er- Jahre eine deutliche Zunahme an Veranstaltungen und Projekten im Ausland zu verzeichnen. Damit stieg die internationale Präsenz des Landesteils, Ende der 1970er-Jahre nahm diese deutlich ab. Zum einen wird das vor dem Hintergrund des generellen Trends in der tschechoslowakischen Außenpoli- tik verständlich. Die Kontakte mit afrikanischen und asiatischen Staaten sind im Laufe der 1980er- Jahre deutlich zurückgegangen. Zum anderen ist zu beobachten, dass das slowakische Engagement im Vergleich zu den Projekten aus der tschechischen Teilrepublik und der Hauptstadt Prag Ende der 1970er-Jahre wieder abgenommen hat. Für die kroatische Kulturpolitik in der Dritten Welt ist hin- gegen festzustellen, dass die Aktivitäten zunächst zu Beginn der 1970er-Jahre stark nachgelassen hatten. Das ist in erster Linie auf die innenpolitischen Entwicklungen zurückzuführen. Es dauerte einige Jahre, bis sich das durchaus komplizierte System der dezentralen Kulturpolitik in Jugoslawien eingespielt hatte. Etwa ab 1972/1973 ist eine Zunahme von kroatischen Veranstaltungen zu verzeich- nen. Während der 1980er-Jahre sind die Bemühungen beider Gliedstaaten im globalen Süden deut- lich weniger geworden.
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