Leseprobe
q 228 Fazit Die 1970er-Jahre sind auf Basis der vorgelegten Erkenntnisse als das Jahrzehnt zu bezeichnen, in demweitaus mehr Akteure und Inhalte aus den Teilrepubliken die auswärtige Kulturpolitik geprägt haben. Dennoch, und das haben sowohl die Beispiele Musik und Kunst als auch der Exkurs über die Wissensproduktion gezeigt, sind die dafür benötigten Strukturen in Bratislava und Zagreb weitaus früher entstanden. Der Ausbau war eine Reaktion auf die wachsenden internationalen – und explizit außereuropäischen – Kontakte ihrer Gesamtstaaten. In der größeren zeitlichen Einordnung wird deutlich, dass mit den Entwicklungen in den 1970ern und der damit einhergehenden wachsenden Beteiligung der Teilrepubliken an der auswärtigen Kulturpräsentation ein Prozess der Internationa- lisierung fortgeführt worden ist, der weitaus früher eingesetzt hatte. Die Internationalisierung umfasste in beiden Teilrepubliken eine Zunahme an internationalem Kulturaustausch, Festivals mit Auslandsbeteiligung in Bratislava und Zagreb sowie den Aufbau von Forschungseinrichtungen, die explizit zu den neuen Zielstaaten in Afrika und Asien gearbeitet haben. In der kroatischen Republik waren Kultureinrichtungen, Mittlerorganisationen und Einzelkünstler seit den 1950ern stärker inter- national vertreten. Die Konzertdirektion Zagreb beispielsweise koordinierte seit 1952 bereits selbst- ständig die Auslandsauftritte von Musikern. Sie konnte in den 1970ern folglich auf zwanzig Jahre internationale Erfahrungen und Netzwerke zurückgreifen. Die Internationalisierung der slowakischen Kultur setzte erst in den 1960ern ein und war längst nicht so umfassend wie im kroatischen Fall. Beispielsweise verfügte der Landesteil bis 1969, bis dato noch ohne Republikstatus, über keine Mittlerorganisationen, die die Auslandsarbeit hätten gestalten können. Folglich können die 1970er- Jahre für die slowakische Teilrepublik deutlich stärker als »Neustart« in der auswärtigen Kulturpolitik bezeichnet werden als im kroatischen Beispiel. Die Föderalisierung der Tschechoslowakei war die Zäsur, die zu einem wesentlich stärkeren slowakischen Anteil an dem auswärtigen Auftreten des Gesamtlandes geführt hat. Die Analyse der slowakischen und kroatischen Kulturarbeit hat offengelegt, dass lange nicht alle afrikanischen und asiatischen Staaten in den Veranstaltungsplänen vorgekommen sind. Der Schwer- punkt lag, trotz anderslautender Einzelbeispiele wie Indien, auf den arabischen Staaten. Im Wesent- lichen waren das in Musik und Kunst Kooperationen mit Ägypten, Algerien, Irak, Syrien, Libyen, Iran und Tunesien. Vor dem Hintergrund der Aktivitäten beider Gesamtstaaten ist nicht festzustellen, dass andere Gliedstaaten wie die tschechische oder serbische Republik in anderen Regionen oder Staaten in der Dritten Welt aktiv gewesen sind. Deshalb ist daraus zu schließen, dass die Kultur veranstaltungen bewusst in den Staaten stattgefunden haben, die wichtig in der außenpolitischen Strategie und für die Handelsinteressen der beiden Föderationen waren. Zudem gehörten zu den wichtigsten Partnern in der Regel Länder, die selbst Kulturbeziehungen mit der Tschechoslowakei respektive Jugoslawien angefragt beziehungsweise gefördert haben. Für einen Großteil der arabi- schen Staaten und für den Iran ist zu konstatieren, dass die Strategien Prags und Belgrads von einer umfassenden Kulturdiplomatie begleitet wurden, an der sich sowohl die slowakische als auch die kroatische Teilrepublik beteiligt haben. Wie das Beispiel des Irans und Tunesiens gezeigt haben, ist der intensivste Kunstaustausch mit solchen Staaten entstanden, deren Regierungen selbst Interesse an einer Vertiefung der Beziehungen hatten. Bei anderen Fällen, wie Ägypten, halfen bereits vor- handene Netzwerke und Strukturen in den bilateralen Kulturbeziehungen, die entweder in den 1960ern entstanden waren oder sogar über noch größere Kontinuitäten aus der Zwischenkriegszeit verfügten, wie es im Fall der Beziehungen zwischen dem Iran und der Tschechoslowakei belegt ist.
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