Leseprobe

Der Waffenstillstand von Deulino (1618/1619) 45 q Die Situation änderte sich erst durch die am 1. Juli 1569 zwischen dem Königreich Polen und Litauen geschlossene Union. Die stärkere Verkopplung der Potenziale beider Staaten ließ hoffen, dass im Kampf um die Hegemonie in Osteuropa endlich eine Kehrtwendung eintreten, der Vor- marsch der Moskauer Truppen nach Westen gestoppt und Litauen die in den vergangenen Jahrzehn- ten verlorenen Gebiete zurückerobern würden. Hinzu kam, dass das Reich Iwans IV. damals in eine tiefe innere Krise rutschte, die vor allem durch die Terrorpolitik des Zaren gegenüber der fürstlich- bojarischen Führungselite (die Zeit der sog. Opritschnina) verursacht war und zu einem wirtschaft- lichen Kollaps führte. Die drei in den Jahren 1579 bis 1582 unternommenen Feldzüge der vereinten Kräfte der Republik unter Befehl König Stephan Báthorys zeitigten eine Reihe spektakulärer Erfolge, und mit dem im Januar 1582 in Jam Zapolskij unterzeichneten Waffenstillstand wurden Livland und das Polozker Land wiedererlangt. 4 Die nächste Etappe der Rivalisierung beider Staaten um die Dominanz im östlichen Teil Europas begann bereits in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts. Damals beschloss Polen-Litauen, die immer größeren Probleme des östlichen Nachbarn auszunutzen, die mit dem Aussterben der Rurikiden- Dynastie (1598), den immer neuen inneren Konflikten und wiederholten Naturkatastrophen zusam- menhingen. Im Jahr 1604 gewährten mehrere polnische Magnaten im geheimen Einvernehmen mit König Sigismund III. Wasa (pol. Zygmunt III Waza) dem auf den Zarenthron Anspruch erhebenden Falschen Dimitri (russ. Dmitrij Samozvanec I), der sich für den auf wundersame Weise geretteten jüngsten Sohn Iwans IV. ausgab (in Wirklichkeit kam der Zarewitsch schon 1591 ums Leben), militä- rische Unterstützung. Im Jahr 1605 gelang es dem Falschen Dimitri, den Kreml zu erobern, aber ein knappes Jahr später verlor er im Aufstand seiner Untertanen das Leben. In den folgenden Jahren vertiefte sich die Krise im Moskauer Staat immer mehr – es tauchten weitere Prätendenten auf, die Anspruch auf die Mütze des Monomach erhoben, und das Land wurde durch Bauernrebellionen, wiederholte Epidemien und Hungersnöte verwüstet. 5 Zu einem offiziellen Eingreifen hat sich Polen-Litauen erst 1609 entschieden, und zwar unter dem Vorwand, der Moskauer Staat habe ein Militärbündnis mit Schweden geschlossen und so die Bestimmungen des ein Jahr zuvor unterzeichneten Waffenstillstands mit der Republik verletzt. Das Hauptziel der Intervention scheint die Wiedererlangung der Gebiete gewesen zu sein, die Litauen bereits Anfang des 16. Jahrhunderts verloren hatte: Smolensk und das Land Tschernigow-Sewerien. Genauso rechtfertigte übrigens der polnische Monarch offiziell und öffentlich den Beginn des Krieges, er behauptete, er sei mit der Besteigung des polnisch-litauischen Throns und mit der Unterzeichnung der Pacta conventa verpflichtet gewesen, diese Provinzen zurückzuerobern. 6 4 Natanson Leski, Jan: Epoka Stefana Batorego w dziejach granicy wschodniej Rzeczypospolitej [Die Epoche Stephan Báthorys in der Geschichte der őstlichen Grenze Polen-Litauens]. Oświęcim 2014, 97–107. 5 Andrusiewicz, Andrzej: Dzieje wielkiej smuty [Geschichte der Zeit der Wirren]. Katowice 1999, 105–247; Czerska, Danuta: Dymitr Samozwaniec [Dimitri der Falsche I.]. Wrocław 1995, bes. 99–221; Wójcik, Zbigniew: Dzieje Rosji 1533– 1801 [Geschichte Russlands 1533–1801]. Warszawa 1971, 61–86. 6 Andrusiewicz, Dzieje [Geschichte] (wie Anm. 5), 265–285; Polak, Wojciech: O Kreml i Smoleńszczyznę. Polityka Rzeczypospolitej wobec Moskwy w latach 1607–1612 [UmKreml und das Smolensker Land. Die Politik Polen-Litauens gegenüber Moskau in den Jahren 1607–1612]. Toruń 1995, 102–148.

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