Leseprobe
q 46 Konrad Bobiatyński Die im September 1609 begonnene Belagerung von Smolensk blieb wegen der unzureichenden Ausstattung mit Artillerie und zu geringer Anzahl von Fußsoldaten lange Zeit erfolglos. Völlig über- raschend zerschlugen dagegen die polnischen Truppen unter Feldhetman Stanisław Żółkiewski Anfang Juli 1610 bei Kluschino die zum Entsatz der Festung marschierenden zarischen Abteilungen, die von fremdländischen Söldnern unterstützt wurden. Der Weg zur Hauptstadt des Moskauer Staa- tes stand offen, und die inneren Unruhen führten dazu, dass der neue Zar Wassili Schujski (russ. Vasilij Šujskij) bald gestürzt und verhaftet wurde. Die Macht in Moskau ging an die Bojarenpartei (mit der sog. Semibojarschtschina an der Spitze) über, die nach einem Kompromiss mit Sigismund III. und Żółkiewski suchte und sich auch dessen bewusst war, dass nur die polnischen Soldaten die Haupt- stadt ihres Staates vor der tödlichen Gefahr bewahren könnten, die ihr seitens eines weiteren selbst- ernannten Zarensohns (pol. Dymitr Samozwaniec II) drohte, der zu jener Zeit in Tuschino bei Moskau residierte. 7 Die Idee, den erstgeborenen Sohn Sigismunds III., den Kronprinzen Władysław, zum Zaren zu wählen, war schon im Januar 1610 aufgekommen, unterbreitet von einer Gesandtschaft der Bojaren, die sich unter Führung des Patriarchen Filaret vor Smolensk begeben hatte. Der polnische Monarch hatte dem Vorschlag zugestimmt (ein entsprechender Vertrag wurde am 14. Februar 1610 abge- schlossen), sich auch damit einverstanden erklärt, den Sohn nach Moskau zu schicken und nach dem östlichen Ritus krönen zu lassen, allerdings erst dann, wenn sich die Situation beim östlichen Nach- barn beruhigt hatte. Dies scheint aber nur ein taktischer Zug des Königs gewesen zu sein, um einen Teil der einflussreichen Moskauer Eliten auf seine Seite zu ziehen und Schujski zu schwächen. Gleich nach der Schlacht bei Kluschino griff man das Konzept wieder auf, und auf der Grundlage des Feb- ruar-Vertrags konnte Żółkiewski am 27. August ein neues Abkommen aushandeln, nach dessen Bestimmungen der junge Wasa zum russischen Zaren gewählt wurde. 8 Es ist darauf hinzuweisen, dass in diesem Abkommen keinerlei Union (nicht einmal eine dynasti- sche) zwischen Polen-Litauen und demMoskauer Staat vorgesehen war. Es handelte sich also dabei um ein ganz anderes Projekt als dasjenige, das der im Jahr 1600 nach Moskau delegierte litauische Kanzler Lew Sapieha unterbreitet hatte, von dem die – unter den damaligen Umständen übrigens fantastisch anmutende – Idee stammte, beide Staaten in Form einer sehr losen Konföderation zu vereinen. 9 Allerdings muss man einsehen, dass es auch keinerlei Chancen gab, den Vertrag vom August 1610 in Kraft treten zu lassen. Polen-Litauen hätte keinen praktischen Nutzen davon gehabt, denn es hätte auf alle territorialen Ansprüche gegenüber dem östlichen Nachbarn verzichten müssen. Gemäß den Vertragsbestimmungen würden die Truppen Polens unverzüglich Moskau verlassen und 7 Andrusiewicz, Dzieje [Geschichte] (wie Anm. 5), 286–309; Polak, O Kreml [Um Kreml] (wie Anm. 6), 149–216; Sikora, Radosław: Kłuszyn 1610 [Kluschin 1610], Warszawa 2010, bes. 21–49. 8 Czerska, Danuta: Sprawa kandydatury królewicza Władysława na tron moskiewski (Umowa z 4 lutego 1610) [Die Kandidatur des Kronprinzen Władysław für den Moskauer Thron (Vertrag vom 4. Februar 1610)]. In: Małopolskie Studia Historyczny 3 (1995), 309–333; Polak, O Kreml [Um Kreml] (wie Anm. 6), 121–132. 9 Tyszkowski, Kazimierz: Poselstwo Lwa Sapiehy wMoskwie 1600 r. [Die Gesandtschaft von Lew Sapieha inMoskau im Jahr 1600]. Lwów 1927; siehe auch: Czwołek, Arkadiusz: Piórem i buławą. Działalność polityczna Lwa Sapiehy, kancler- za litewskiego, wojewody wileńskiego [Mit Feder und Stab. Die politische Tätigkeit von Lew Sapieha, dem litauischen Kanzler und Wilnaer Woiwoden]. Toruń 2012, 32–36, 135–157.
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