Leseprobe
Der Waffenstillstand von Deulino (1618/1619) 47 q sich nach der Zerschlagung der Streitkräfte des Usurpators aus allen besetzten Gebieten zurück- ziehen, die Belagerung von Smolensk aufgeben und auch andere eingenommene Festungen abtreten müssen. Kronprinz Władysław, der ganz sicher zum russisch-orthodoxen Glauben hätte konvertieren müssen (vorläufig wurde diese Sache für einen späteren Zeitpunkt aufgeschoben), konnte keine militärische Unterstützung durch seinen Vater in Anspruch nehmen. In Kenntnis der inneren Realien des Moskauer Staates in jener Epoche kann man davon aus- gehen, dass er sehr bald das Schicksal seiner Vorgänger auf dem Zarenthron – Fjodor Godunows (pol. Fiodor Godunow) und des Falschen Dimitri I., die von verschworenen Untertanen ermordet wurden – teilen würde. Kein Wunder also, dass Sigismund III. als liebender Vater sich letztendlich weigerte, den Sohn ins fast sichere Verderben zu schicken, und er hat den von Żółkiewski unter- zeichneten Vertrag unter dem Vorwurf abgelehnt, der Hetman habe seine Kompetenzen überschrit- ten. Stattdessen schlug er vor, dass er selbst für eine gewisse Zeit die Macht im Kreml übernehmen und diese erst nach einigen Jahren an Władysław weitergeben würde. 10 Man kann übrigens dieses Problem auch aus einer etwas anderen Perspektive betrachten. Selbst unter den realen Umständen einer Wahlmonarchie, wie Polen-Litauen sie war, galt Władysław allge- mein als der natürliche Erbe und künftige Nachfolger seines Vaters. Außerdem war er das einzige »großgezogene« von den fünf Kindern Sigismunds III. aus erster Ehe (im Jahr 1610 war er 15 Jahre alt), denn seine Geschwister waren in früher Kindheit gestorben. Aus der zweiten Ehe hatte der König damals nur einen überlebenden Sohn, den im März 1609 geborenen Jan Kazimierz. Angesichts der hohen Kindersterblichkeit sogar in königlichen Familien konnte man selbstverständlich nicht sicher sein, dass er das Erwachsenenalter erreichen und hypothetisch den Thron Polen-Litauens würde besteigen können, falls das Schicksal seinen Halbbruder dauerhaft an den Moskauer Staat binde. Inzwischen zogen polnisch-litauische Truppen im Oktober 1610 im Kreml ein, und die Besetzung der Hauptstadt des Moskauer Staates begann. Bald konnte Żółkiewski auch die Kräfte des zweiten Usurpators zerschlagen. Polnische und litauische Söldner in dessen Diensten entschieden sich, in den Sold Polen-Litauens überzugehen, das sich bereit erklärte, ihre finanziellen Ansprüche zu über- nehmen, der Usurpator selbst flüchtete nach Kaluga und wurde dort schon im Dezember 1610 ermor- det. Der größte militärische Erfolg Sigismunds III. war jedoch die Einnahme von Smolensk, das im Juni 1611 – nach einer fast zweijährigen Belagerung – von polnischen Truppen erstürmt wurde. Das bedeutete jedoch nicht, dass man die militärischen Handlungen einstellte in der Annahme, die Frage der Besetzung des Zarenthrons und der territorialen Ansprüche würde sich letztendlich auf dem Wege der diplomatischen Verhandlungen lösen lassen. 11 10 Bielowski, August (Hg.): Vertrag vom 27. August 1610: Pisma Stanisława Żółkiewskiego, kanclerza koronnego i het- mana [Die Schriften Stanisław Żółkiewskis, des Kronkanzlers und Hetmans]. Lwów 1861, 493–506; Prochaska, Antoni: Hetman Stanisław Żółkiewski [Hetman Stanisław Żółkiewski]. Oświęcim 2018, 79–101; Urwanowicz, Jerzy: Stanisław Żółkiewski wobec Moskwy – koncepcje i działania [Stanisław Żółkiewski gegenűber Moskau – Konzeptionen und Ta- ten]. In: Polskawobecwielkich konfliktówwEuropie nowożytnej. Z dziejówdyplomacji i stosunkówmiędzynarodowych w XV–XVIII wieku [Polen und die großen Konflikte im frühzeitlichen Europa. Zur Geschichte der Diplomatie und der internationalen Beziehungen vom 15. bis 18. Jahrhundert]. Hg. v. Ryszard Skowron. Kraków 2009, 54–64. 11 Polak, O Kreml [Um Kreml] (wie Anm. 6), 202–257.
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