Leseprobe

Versuch einer Befriedung Das Prespa-Abkommen zwischen Griechenland und Makedonien 2018 1 STEFAN TROEBST geschichte schreiben heisst, jahreszahlen ihre physiognomie geben. 2 Während die »Physiognomie« der Jahreszahlen 1018 – Bautzen –, 1618 – Deulino –, 1718 – Požarevac – und 1918 – Brest-Litovsk deutlich erkennbar ist, trifft dies auf 2018 nicht in vergleichbarer Form zu: Im Syrien-Krieg und im Russisch-Ukrainischen Konflikt hat es im besagten Jahr keine Friedens- schlüsse gegeben und auch für die Befriedung anderer Konfliktherde – Zypern, Berg-Karabach, Palästina, Sudan, Jemen, Kaschmir, Xinjiang und andere – ist dergleichen derzeit nicht absehbar. Ein Silberstreif am Horizont hat sich aber 2018 bezüglich eines Konfliktherds in Südosteuropa aufgetan, nämlich die leidlich begründete Hoffnung auf eine Beilegung des Streites zwischen Griechenland und Makedonien um den Namen der 1991 selbstständig gewordenen südlichsten Teilrepublik des implo- dierten Jugoslawien, um ihre Staatssymbole, ihre Grenzen sowie ihre Geschichtspolitik. Gemeint ist das Abkommen von Prespa vom 17. Juni 2018, welches die beiden Außenminister Nikola Dimitrov und Nikos Kotzias in Anwesenheit der beiden Premierminister Zoran Zaev und Alexis Tsipras sowie des UN-Vermittlers Matthew Nimetz, einem US-Diplomaten und -Geschäftsmann, und der Außen- beauftragten der Europäischen Union, Federica Mogherini, unterzeichnet haben. Die Parlamente in Skopje und Athen haben das Abkommen 2019 ratifiziert – mit der Folge, dass der firmierende zent- ralbalkanische Staat 2020 als 30. Mitglied in die Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) aufgenom- men werden konnte. In der internationalen Medienberichterstattung wurde vor allem der in Prespa fixierte Kompro- miss in der Frage des Namens des Republik Makedonien, die ja auf internationaler Ebene bis dahin immer noch als »ehemalige jugoslawische Republik Makedonien« – »Former Yugoslav Republic of Macedonia«, abgekürzt FYROM – firmierte, hervorgehoben. Der neue Name lautet Republika Severna Makedonija – wörtlich: Republik Nördliches Makedonien, in der Nomenklatur des Auswärtigen Amtes in Berlin indes »Republik Nordmazedonien« –, nachdem die Varianten »Republik Ober-Makedonien«, »Republik Vardar-Makedonien«, »Republik Neu-Makedonien« und »Zentralbalkanische Republik« verworfen worden waren. Der neue Name soll laut dem Abkommen nicht nur im bilateral griechisch- makedonischen Verkehr, sondern auf sämtlichen internationalen wie vor allem auch innerstaatlich- 1 Vortrag auf der Internationalen Konferenz »Ostmitteleuropäische Friedensschlüsse zwischen Mittelalter und Gegenwart: Bautzen (1018), Deulino (1618), Požarevac (1718), Brest-Litovsk (1918)«, Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Leipzig, 12.–13. Dezember 2018. Die Redeform wurde beibehalten. 2 Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. Hg. v. Rolf Tiedemann. Bd. 1. Frankfurt amMain 1983, 595.

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