Leseprobe
makedonischen Bereichen gelten – gemäß dem völkerrechtlichen erga-omnes -Prinzip. Das war für die griechische Seite ein zentraler Punkt. Aber das Prespa-Abkommen – ein 19 Seiten langes und überaus detailliertes Dokument mit 20 Artikeln – enthält auch zahlreiche Bestimmungen zu etlichen anderen Politikfeldern, so etwa zur gemeinsamen Staatsgrenze, zu Fragen der Verteidigung, zu Menschenrechten, Wirtschaft, Touris- mus, Handel, Umweltschutz etc. Besonders eingehend werden in diesem internationalen Vertrag Dinge behandelt, die in völkerrechtlichen Dokumenten in der Regel nicht firmieren. Dies sind – in der englischen Terminologie des Originaldokuments – »symbols«, »language«, »heritage«, »cultural patrimony« und »ancient civilization«, vor allem aber »history«. Symbolisch gewählt war auch der Ort der Unterzeichnung, das griechische Fischerdorf Psarades – psari heißt Fisch –, das bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts mehrheitlich südslavisch besiedelt war und damals Nivici hieß. Psarades ist am Prespa-See gelegen, dessen größerer Teil zu Makedonien gehört, ein Drittel zu Griechenland und ein kleiner Teil zu Albanien. Gleichfalls symbolträchtig ist die makedonische Delegation zur Unterzeichnung des Abkommens mit Schnellbooten über den See auf die griechische Seite gekommen, danach fuhren sämtliche Beteiligten wiederummit Booten ans makedonische Ufer, wo es im Badeort Oteševo ein Festbankett gab. Bei aller Symbolik übersahen dabei sowohl die griechische wie die makedonische Seite, dass die Geschichte beider Orte – von Psarades sowie von Oteševo – auch in ganz anderer Hinsicht para- digmatisch ist. Denn in Psarades fand Ende März 1949, also in der Endphase des Griechischen Bür- gerkriegs der Jahre 1946 bis 1949, der Zweite Kongress der pro-kommunistischen makedonischen Nationalen Befreiungsfront (NOF) statt, die mit der Kommunistischen Partei Griechenlands und ihremmilitärischen Arm verbündet war. Seitens des monarchistischen Bürgerkriegslagers wurde den griechischen und makedonischen Kommunisten unterstellt, bei dieser Gelegenheit eine Vereinigung des makedonischen Teils Griechenlands mit der jungen jugoslawischen Teilrepublik Makedonien propagiert, also Hochverrat begangen zu haben. Und das Dorf Oteševo ist heute verlassen, sprich: unbewohnt, da es im äußersten Süden Make- doniens so gut wie keine Arbeitsplätze gibt und sich selbst der regionale Tourismus vom eher unspek- takulären Prespa-See ganz auf den nahe gelegenen, sauberen und wild-romantischen Ohrid-See verlagert hat. Das relativ moderne, heute aber leer stehende Hotel in Oteševo, in dem das Festban- kett stattfand, trägt übrigens den Namen »Evropa«, also »Europa« – sicher kein gutes Omen. In Psarades hingegen, dem Ort der Unterzeichnung des Abkommens, floriert der regionale Tourismus heute zumindest in der warmen Jahreszeit und dies trotz der Abgelegenheit des Dorfes in beschei- denem Umfang, was nicht zuletzt an den zahlreichen Fischrestaurants dort liegt. Neben den genannten symbolischen Elementen dürften auch sicherheitspolitische Erwägungen zur Entscheidung Athens und Skopjes beigetragen haben, das Abkommen eben hier, in Psarades, medienwirksam zu unterzeichnen. Denn der Ort ist selbst für nordgriechische Verhältnisse äußerst abgelegen, also leicht abzusichern. Dass dies eine überaus vorausschauende Überlegung war, zeigte der Aufmarsch militant protestierender griechischer Nationalisten an der Zugangsstraße nach Psarades am Tag der Unterzeichnung. Wie vertrackt, ja verfahren das griechisch-makedonische Verhältnis seit 1991 ist, geht bereits aus Titel und Präambel des Abkommens hervor. Der Titel lautet in deutscher Übersetzung »Endgül- tige Übereinkunft zur Beilegung der Differenzen, die in den Resolutionen 817 (von 1993) und 845
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