Leseprobe

Versuch einer Befriedung 159 q (von 1993) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, im Abschluss der Interim-Vereinbarung von 1995 und in der Errichtung einer strategischen Partnerschaft zwischen den Parteien beschrieben sind«. Das heißt, worum es eigentlich geht – um die Namensänderung und weitere Punkte –, wird im Titel nicht genannt, sondern hier wird lediglich auf andere Dokumente in diesem Kontext ver- wiesen, deren Bezeichnungen ebenfalls kryptisch sind. Und die deutsche Entsprechung des ersten Satzes der Präambel wäre in etwa diese: »Die Erste Partei, die Hellenische Republik (die ›Erste Partei‹) und die Zweite Partei, die gemäß der Resolution 47/225 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 8. April 1993 in die Vereinten Nationen aufgenommen wurde (die ›Zweite Partei‹), die hier gemeinsam als ›die Parteien‹ bezeichnet werden«. Auch hier wird nicht Klartext gesprochen, denn aus griechischer Sicht kam weder die Verwen- dung des provisorischen UN-Terminus »ehemalige jugoslawische Republik Makedonien« noch deren Eigenbezeichnung »Republik Makedonien« infrage, da in beiden Begriffen ja das Wort »Makedonien« enthalten war. Und den Neologismus »Nordmakedonien« konnte man noch nicht verwenden, da das Abkommen ja bei Unterzeichnung noch nicht ratifiziert war. Daher die Bezeichnung »die Zweite Partei« für die Republik Makedonien. Zwei Artikel des Abkommens sind besonders bemerkenswert, da sie Bereiche betreffen, die üblicherweise außerhalb der Regelungen des Völkerrechts liegen, nämlich Sprache und Geschichte. Im Artikel 7 ist besonders Absatz 4 aufschlussreich, der auf Deutsch in etwa wie folgt lauten würde: »Die Zweite Partei [= die Republik Makedonien] stellt fest, dass ihre offizielle Sprache, die make- donische Sprache, zur Gruppe der südslawischen Sprachen gehört. Die Parteien [= die Republik Makedonien und Griechenland] stellen fest, dass die offizielle Sprache und andere Attribute der Zweiten Partei [= der Republik Makedonien] in keiner Verbindung zur antiken hellenischen Zivilisa- tion, Geschichte, Kultur und Erbe der nördlichen Region der Ersten Partei [= Griechenland] stehen.« Der Hintergrund ist natürlich die Politik der »Antikisierung« der Republik Makedonien, wie sie die rechtskonservative Regierung der Jahre 2006 bis 2016 unter dem mittlerweile im ungarischen Exil befindlichen Nikola Gruevski betrieben hat, kulminierend in dem Projekt »Skopje 2014«. Im Zuge dessen wurde die Innenstadt Skopjes mit etlichen Monumentalbauten im Stil des Balkan-Barock, vor allem aber mit zahlreichen Statuen und Bauten mit Bezügen zur Antike regelrecht zugepflastert. Auch wurde das historische Narrativ aus jugoslawischer Zeit, nämlich dass die gegenwärtige Titularnation der Republik Makedonien ihre Ethnogenese auf die Einwanderung von Slaven in den Balkan während der Völkerwanderungszeit zurückführt, um 1000 Jahre gleichsam »verlängert« – zu den antiken Makedoniern Alexanders des Großen und seines Vaters Philipp II. im 4. Jahrhundert v. Chr. Eine dies- bezügliche Verdichtung makedonischerseits, die in Griechenland als rotes Tuch perzipiert wurde, war die 16-strahlige »Sonne von Vergina«. Diese »Sonne«, die in griechischer Sicht als »Stern« gedeutet wurde, stammt von einer massiv goldenen Gebein-Schatulle, mutmaßlich aus dem Besitz Philipps II., die 1977 beim nordgriechischen Dorf Vergina in der Nähe der antiken makedonischen Hauptstadt Pella von dem Archäologen Manolis Andronikos gefunden wurde. Entsprechend ist in griechischer Sicht der Stern von Vergina nicht nur ein genuin griechisches, sondern eben deswegen auch ein aus- schließlich griechisches Symbol, das seit den frühen 1990er Jahren als das zentrale Emblem im »Kampf« gegen den Anspruch der Republik Makedonien auf Teilhabe am antiken Erbe fungierte.

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