Leseprobe
Ostmitteleuropäische Friedensschlüsse Vorwort MATTHIAS HARDT, MARCIN WOŁOSZYN Das Ende des Ersten Weltkriegs, herbeigeführt durch den Aufstand der Matrosen in Kiel und Wil- helmshaven, und das am 9. November 1918 mittags in Berlin durch Philipp Scheidemanns Ausrufung einer »deutschen Republik« besiegelte Ende der Hohenzollernmonarchie, am gleichen Tag nach- mittags durch Karl Liebknechts Proklamation zu einer »freien sozialistischen Republik Deutschland« präzisiert, ist im Herbst des Jahres 2018 durch zahlreiche Veranstaltungen unter Beteiligung von Staatspräsidenten, Regierungschefinnen, Ministern und Diplomaten gefeiert und in den Medien mehr oder weniger intensiv gewürdigt worden. Das Kriegsende im November 1918 hatte ohne Zwei- fel eine große Bedeutung, wenngleich es erst die Pariser Vorortverträge des folgenden Jahres waren, die nach der Friedenskonferenz den Krieg auch formal beendeten. Wirklich in das Jahr 1918 gehört dagegen jener Vertrag, den die junge Sowjetregierung schon am 3. März 1918 mit den Mittelmächten geschlossen hatte und mit dem Russland als Kriegsteilneh- mer aus dem Geschehen ausschied, ebenso wie die neu entstandene Ukraine, die den Krieg am gleichen Ort schon am 9. Februar 1918 im sogenannten Brotfrieden beendet hatte. In Ostmitteleu- ropa war dieser Erste Weltkrieg also wirklich im Jahr 1918 zu Ende, und dies jährte sich 2018 zum 100. Mal. Aber nicht allein Brest-Litovsk hatte im Jahr 2018 ein solches rundes Jubiläum, sondern es gab weitere für das östliche Europa relevante Friedensschlüsse, die sich in diesem Jahr 2018 nach Jahrhunderten erinnern ließen. Am 21. Juli 1718 schlossen in Požarevac (Parassowitz) im heutigen Serbien Karl VI. von Habsburg gemeinsam mit der Republik Venedig einen Friedensvertrag mit Sultan Ahmed III., der das Teme- scher Banat und die kleine Walachei abtreten musste, während Venedig zum Verzicht auf den Pelo- ponnes gezwungen wurde, aber eine Anzahl von Inseln und Festungen im südlichen adriatischen Meer halten konnte, am bekanntesten davon die Insel Korfu. Schon ein Jahrhundert vorher, am 11. Dezember 1618, war in Deulino, nicht weit nördlich von Moskau, mit einem Vertrag der von 1609 bis 1618 währende polnisch-russische Krieg beendet worden. Russland erkannte damit die Ostaus- dehnung der Adelsrepublik Polen-Litauen bis in das Gebiet um Smolensk und Tschernihiw (Černigov/ Černihiv) hinein an, wehrte aber polnische Ansprüche auf die Zarenkrone erfolgreich ab. Vor mehr als 1000 Jahren beendeten Abgesandte des weströmischen Kaisers Heinrichs II. und des polnischen Fürsten Bolesław Chrobry in Bautzen in der Oberlausitz eine Auseinandersetzung, die sich von 1002 bis 1018 hingezogen hatte, weil Heinrich II. nicht anerkennen wollte, was sein Vor- gänger Otto III. dem Piasten versprochen hatte: einen Platz in der Familie der Könige, von welcher der junge Kaiser sich umgeben wissen wollte. Und erst im Jahr 2018 versuchten Griechenland und
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