Leseprobe

6. Mögliche Auslöser des Wandels I: politische und wirtschaftliche Transformationen 113 q zeigte sie, dass Veränderungen der Produktionsverhältnisse, der Rechtsordnung und der damit ver- bundenen Weltanschauungen von erheblichen Modifikationen in den Geschlechterverhältnissen und im Verhältnis der Menschen zur Natur mitsamt der Methoden ihrer Umgestaltung begleitet wur- den.248 Indemman den Begriff der »ökologischen Revolution« in das Feld der antiken und mittelalter- lichen Geschichte einführt, stellt sich die Frage, ob bei Veränderungen des politischen oder wirt- schaftlichen Lebens sich auch die Beziehungen zwischen den Menschen und den Menschen mit der Natur verändert haben (beziehungsweise, ob sich die Natur und Landschaft durch politische wie wirtschaftliche Prozesse ebenfalls verändert haben). Kurzum: Haben wir es mit Veränderungen zu tun, die Menschen und Natur in einer bestimmten Zeitenwende gemeinsam erlebt haben? Um zu überprüfen, ob es in der byzantinischen Geschichte zu ökologischen Revolutionen gekom- men ist, widme ich mich den zwei wichtigsten Wendepunkten in der Geschichte des mittelalterlichen Roms. Bei dem ersten handelt es sich um die spektakulärste Phase der arabischen Eroberungen in der Mitte des 7. Jahrhunderts und das damit verbundene endgültige Ende der römischen Antike; im zweiten Fall um die Invasion der Seldschuken in Anatolien und die damit einhergehende Einwande- rung turkmenischer Stämme im 11. bis 12. Jahrhundert. Infolgedessen verlor das Reich die Kontrolle über den größten Teil Kleinasiens, was ein großer Schlag für seine langfristige Stabilität und seine fortwährende Fähigkeit war, wirtschaftliche und militärische Ressourcen zu mobilisieren. Ich stelle die in der Literatur mindestens seit den 1960er Jahren präsente Frage, ob die turkmenische Invasion auch eine nachhaltige Veränderung der Umwelt des mittelalterlichen Anatolien und der Einstellung der Menschen zur Natur bewirkte.249 Um diese Fragen zu beantworten, habe ich die Landschaft des Untersuchungsgebiets mithilfe palynologischer Daten untersucht. Wie bereits erläutert, erlauben sie eine grobe Rekonstruktion der Pflanzendecke der Gebiete, aus denen die von Palynologinnen und Palynologen analysierten See- und Moorsedimente stammen. Die Verwendung dieser Daten in einem größeren Maßstab erfordert bei der historischen Analyse die Einbeziehung ausgewählter chronologischer Kategorien. Weil die Zeit- bestimmung palynologischer Daten überwiegend auf Radiokarbondatierungen und mathematischen Modellierungen beruht, sollte eine mögliche Fehldatierung, die sogar bis zu 100 Jahre betragen kann, in Betracht gezogen werden. Meine Analyse in diesem Kapitel stützt sich auf Informationen, die von einzelnen Proben aus Dutzenden von verschiedenen Standorten von Italien bis Israel stammen. Auch aufgrund der Datierungsproblematik betrachte ich die Veränderungen in der Pflanzenlandschaft über einen Zeithorizont von 150 bis 200 Jahren. Wenn das Ziel einer Studie darin besteht, die Dynamik der Vegetationsveränderung in Daten von vielen verschiedenen Standorten zu vergleichen, ist ein solcher Zeitraum in der palynologischen Literatur als standardmäßige Analyseeinheit akzeptiert.250 Obwohl dies aus der Sicht der traditionellen Ereignisgeschichte als sehr lang erscheinen mag, ermöglicht eine 248 Merchant, Ecological Revolutions [wie Anm. 20]; Merchant, The Theoretical Structure [wie Anm. 21]. 249 Xavier de Planthol hat dieser Frage sein wichtigstes Werk gewidmet und die These vertreten, dass die Islamisie­ rung weiterer Gebiete im Nahen Osten und des Mittelmeerraums eine drastische Stärkung der Nomaden und des Hir­ tenwesens bedeutete, Planhol, Xavier de: Les fondements géographiques de l’histoire de l’Islam (Nouvelle bibliothèque scientifique). Paris 1968. Bezogen auf Anatolien sind solche Ideen bereits in den frühen Arbeiten Planhols zu sehen: ders.: De la plaine pamphylienne aux lacs pisidiens. Nomadisme et vie paysanne. Paris 1958. 250 Fyfe, Ralph M.; Woodbridge, Jessie; Roberts, Neil: From Forest to Farmland. Pollen-Inferred Land Cover Change Across Europe Using the Pseudobiomization Approach. In: Global Change Biology 21 (2014), 1197–1212; Roberts, Neil,

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