Leseprobe
q 114 Ein vormoderner Staat als sozioökologisches System solche Perspektive, die Veränderungen, die sich über einen langen Zeitraum hinweg ereignet haben und für die Geschichte der Gesellschaften im Untersuchungsraum von grundlegender Bedeutung waren, glaubwürdig zu erfassen. Das bedeutet, dass ich für die Epoche »Ende der Antike« das 3. bis 4., 5. bis 6. und 7. bis 8. Jahr- hundert miteinander vergleiche. Eine solche Einteilung ermöglicht, die »eigentliche« Spätantike, das heißt den Höhepunkt in der Entwicklung des spätantiken Oströmischen Reichs (im 5. bis 6. Jahrhun- dert), von der früheren Periode des Römischen Kaiserreichs in der Zeit vor seiner endgültigen Teilung in einen westlichen und östlichen Teil sowie von den Jahrhunderten, die bereits von den Auswirkun- gen des Zusammenbruchs der spätrömischen Ordnung geprägt waren, zu unterscheiden. Für die Analysen verwende ich alle von Palynologinnen und Palynologen untersuchten Proben, die von den verschiedenen Standorten innerhalb des ausgewählten Zeitraums zugänglich gemacht worden sind (das heißt, dass sie für diese Zeit datiert sind, unabhängig von den verfügbaren Konfidenzintervallen des Datums; die Quellen der Daten und der Altersmodelle habe ich in der Tabelle 2 angegeben).251 Auf der Grundlage der Ergebnisse der Stichprobenanalyse, die in Fachzeitschriften und Online-Daten- banken veröffentlicht wurden, habe ich Karten erstellt, die meine Untersuchungen graphisch dar- stellen und die Grundlage für die von mir gezogenen Schlussfolgerungen bilden. Für die Epoche der mittelalterlichen türkischen Einwanderung folge ich meiner Einteilung von 150-Jahr-Perioden. Das ist zunächst das 10. bis 11. Jahrhundert, genauer die Jahre von 925 bis 1075 – eine Zeit des anfänglichen wirtschaftlichen Aufschwungs im mittelalterlichen Reich, die den größ- ten türkischen Migrationswellen und der seldschukischen Invasion vorausging. Das ist des Weiteren das »lange« 12. Jahrhundert (1075–1215), in dem die unmittelbaren Auswirkungen der Invasion auf die Umwelt sichtbar sind; schließlich der Zeitraum vom 13. bis zum 14. Jahrhundert (1215–1375), des- sen Einbeziehung in die Analyse es erlaubt, die Dauerhaftigkeit der Veränderungen im Zuge der turkmenischen Migration zusammen mit der seldschukischen Invasion zu beurteilen. Der Ausgangspunkt für die Interpretation von Pollendaten in diesem Kapitel ist das bereits erwähnte Konzept des anthropogenen Drucks, also des menschlichen Einflusses auf die Ökosysteme. Er erfolgt durch die direkte Umwandlung bestehender Ökosysteme in Agrarökosysteme, die einen dauerhaften Arbeitseinsatz und ständige Pflege erfordern, sowie durch eine Ausnutzung lokaler natürlicher Ressourcen, die zu Veränderungen der bestehenden Vegetationsstruktur in »unkultivier- ten« Ökosystemen führt. In den Pollendaten wird der anthropogene Druck erkannt durch: 1) das deutliche Auftreten von Pollen verschiedener Nutzpflanzen (von Getreide bis hin zu Obstbäumen); 2) den abnehmenden Anteil der Waldvegetation an der Gesamtpollensumme in den Probenreihen; 3) die Zunahme des Pollenanteils von Pflanzen, die typisch für offene Landschaften sind, bei gleich- zeitiger Zunahme von Pflanzenpollen, die auf die Anwesenheit von Weidetieren hinweisen können (kurzum durch hohe Pollenwerte, die auf eine Weidewirtschaft und synanthrope Pflanzen verweisen). Ich unterscheide drei Grade des anthropogenen Drucks, von denen die beiden Extreme am genauesten definiert werden können: Bei der niedrigsten Stufe, die ich als schwachen anthropogenen et al.: Europe’s Lost Forests. A Pollen-Based Synthesis for the Last 11,000 Years. In: Scientific Reports 8 (2018), Aufsatz nummer 716. 251 Selbstverständlich würden einige der Standorte viel kürzere zeitliche Abschnitte ermöglichen. Der Versuch einer umfassenden Synthese erfordert jedoch, dass Berichte aller Standorte auf einen gemeinsamenNenner gebracht werden.
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