Leseprobe
7. Mögliche Auslöser des Wandels II: Klimaveränderungen Neben politischen Umwälzungen, wirtschaftlichen Umbrüchen und großen Migrationsprozessen waren die Klimaveränderungen ein weiterer Faktor, der die sozioökologische Kontinuität in der Geschichte des Oströmischen Reichs potenziell unterbrechen konnte. Wie bereits dargelegt, bieten paläoklimatische Rekonstruktionen Anlass zu der Annahme, dass es in der über 1000-jährigen Geschichte des Reichs einige Male zu signifikanten Veränderungen klimatischer Bedingungen (wie Rückgang der Durchschnittstemperatur oder des durchschnittlichen Niederschlags etc.) kam oder Episoden besonders widriger (manchmal extremer) Wetterbedingungen auftraten, die mehrere Monate bis zu mehrere Jahre dauerten. Obgleich es in der Forschung einen Trend gibt, das Klima als ultimative Ursache für große Durchbrüche und Krisen in der Menschheitsgeschichte zu sehen, sollte man natürlich nicht erwarten, dass so etwas in Byzanz geschehen ist.296 Die »Schuld« auf das Klima abzuwälzen, beraubt nicht nur Menschen ihrer aktiven Rolle in der eigenen Geschichte, sondern verkennt auch die Komplexität der Mechanismen, durch die Klimaphänomene die Richtung des sozialen Wandels beeinflussen können, und die vielen Faktoren, die das Ausmaß der von ihnen aus- gelösten Krisen bestimmen.297 Klimaveränderungen betreffen nicht die gesamte Gesellschaft gleichermaßen. Je nach gesell- schaftspolitischer Position und wirtschaftlicher Lage können manche Gruppen gegenüber den Aus- wirkungen von »schlechtem Wetter« sehr widerstandsfähig sein, während für andere Klimaschwan- kungen dramatische Folgen haben (selbstverständlich kann sich eine bestimmte Konstellation im Laufe der Zeit ändern). Auch wenn ganze Gesellschaften gegenüber den Klimaveränderungen als resilient erscheinen, gibt es immer Gruppen, die die Kosten für diese Widerstandsfähigkeit tragen.298 In der Regel sind es die ärmsten und schwächsten Gruppen und ihre Situation ist umso schlechter, je stärker der menschliche Druck auf die natürlichen Ressourcen ausfällt. Man kann sogar feststellen, dass die Erhöhung der »Ausbeutung« der Menschen durch Menschen bei gleichzeitiger »Ausbeu- tung« der Natur durch Menschen dazu führt, dass das sozioökologische System anfälliger für Stö- rungen wird, die durch die Klimaveränderungen verursacht werden. Im Mittelmeerraum liefert hier- für die Geschichte Zyperns ein anschauliches Beispiel: Nach mehreren Eroberungen ist die Insel in 296 Für eine kritische Besprechung dieses Forschungsstrangs siehe Hulme, Mike: Reducing the Future to Climate. A Story of Climate Determinism and Reductionism. In: Osiris 26 (2011), 245–266; Middleton, Nothing Lasts Forever [wie Anm. 169]; Middleton, Understanding Collapse [wie Anm. 169]. 297 Slavin, Philip: Climate and Famines. A Historical Reassessment. In: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change 7 (2016), 433–447; Haldon, John, et al.: History Meets Palaeoscience. Consilience and Collaboration in Studying Past Societal Responses to Environmental Change. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 115 (2018), 3210–3218. 298 Izdebski, Adam; Mordechai, Lee; White, Sam: The Social Burden of Resilience. AHistorical Perspective. In: Human Ecology 46 (2018), 291–303.
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